Linksaufsteher: Ein Montagsroman
Trotzdem versuche ich weiter tapfer, nicht zu denken, die Chill-out-Frauenstimme nicht zu hören und mir einzureden, dass das völlig ausreicht.
» Free your body, soul and mind. Free your body, soul and mind …«
Sei du selbst. Ha. Wer bin ich denn überhaupt? Damit geht es doch schon mal los … Mist, ich soll ja nicht denken. Ich wünschte, ich hätte wenigstens noch einen Plan B in der Hinterhand. Aber es war ja sonst keiner da, um mir zu helfen. Tobi war den ganzen Tag über verschollen. Hat bestimmt mit Diana Kinderbetten für den Nachwuchs ausgesucht, oder so was. Und Gonzo hat mich dauernd weggedrückt und mir irgendwann eine Zwei-Wort- SMS geschickt, die darauf hindeutete, dass er entweder gerade mit seinem Chef im Restaurant oder mit Claudia Schiffer im Bett saß. Und der Zuckerstreuer auf meinem Küchentisch, an den ich mich am Ende in meiner Not gewandt habe, war dann auch recht wortkarg.
» Free your body, soul and mind. Free your body, soul and mind …«
Ich versuche mich zwar damit zu beruhigen, dass ich bei meinen Sprecherjobs auch immer keinen Plan habe und die Leute am Ende trotzdem zufrieden sind, aber wenn man genauer drüber nachdenkt, hinkt der Vergleich doch gewaltig. Bei den Sprecherjobs habe ich nämlich etliche Chancen, es richtig zu machen, bei meiner Mission hier kann ich dagegen mit einem falschen Wort alles versauen. Und der Weg von Keinen-Plan-Haben hin zum ersten falschen Wort ist einfach mal verdammt kurz.
» Free your body, soul and mind. Free your body, soul and mind …«
Hrnnnnnfg! Mal angenommen, ich würde mein gesamtes übriges Leben darauf ausrichten – würde es mir gelingen, die Singtussi ausfindig zu machen und zu erwürgen? Also, nur mal theoretisch. So viel Zeit müsste doch dafür reichen? Und dann könnte ich sogar mit Fug und Recht behaupten, mein Leben hätte einen Sinn gehabt … Blödsinn, sie kann ja nichts dafür. Den Produzenten müsste ich erwürgen … Aber eigentlich verdient der, der so was auflegt, am allermeisten, erwürgt zu werden. Aber der steht hier in Greifweite entfernt. Das wäre für eine Lebensaufgabe zu wenig. Ich … Mist, ich verfranse mich schon wieder. Ich sollte mich erst mal setzen …
So. Laptop anschließen, hochfahren, Kaffee bestellen, Facebook-Seite aufrufen … Oh, eine Freundschaftsanfrage. Von ruderfrosch . Aber gerne doch. Freunde sind immer gut. Ich würde auch Paddelschnecke und Tretbootdelfin nehmen … Jetzt aber zurück zum Wesentlichen: Ich werde hier sitzen und ich selbst sein, was auch immer das ist. Und wenn sie kommt, werde ich so dermaßen ich selbst sein, dass es sie rückwärts umhaut. Sie wird gar nicht anders können, als sich in mich zu verlieben. Ich stelle mir vor, wie mir alle Beziehungsratgeber dieser Welt gleichzeitig mit jeweils einer Seite auf die Schulter klopfen. Zuversicht durchströmt mich bis in die letzte Faser … Nein, stimmt gar nicht. Ich bin genauso unsicher wie zuvor, und außerdem noch höllisch aufgeregt. Mist … Oh, Nachricht von ruderfrosch:
hallo. letzte woche ist dir doch dein laptop runtergefallen, weil du über das kabel gestolpert bist. wollte nur kurz sagen, mit einem macbook wäre das nicht passiert.
Was? Ich stehe hier unmittelbar vor dem vielleicht wichtigsten Treffen meines Lebens, und ruderfrosch will mit mir Computerfragen erörtern? Das muss ich ignorieren.
Hallo ruderfrosch, wieso wäre das mit einem Macbook nicht passiert? Und woher weißt du überhaupt, dass ich letzte Woche hier war?
Okay, das war jetzt nur, weil es unhöflich gewesen wäre, nicht zu antworten. Nun aber volle Konzentration auf das Ich-selbst-Sein, sonst wird das nichts … Oh, Nachricht von ruderfrosch.
ich war dabei, als es passiert ist. ich bin jetzt auch hier. schau mal zu den stehtischen.
Ich drehe mich um. Tatsächlich, da sitzt einer und winkt ausladend. Bisschen dicklich, Brille, lange blonde Haaren, Strohhut, Pickel … Was macht er mir jetzt für Zeichen? Ich soll hinschauen? Was zum Henker …? Er hält sein Netzkabel hoch … und jetzt geht er durch, als wäre es ein Marathonlauf-Zielband … und der Rechner auf dem Tisch rührt sich nicht von der Stelle … Der Stecker ist irgendwie einfach rausgeflutscht … Er tippt … Nachricht von ruderfrosch.
magsafe-stecker. hält durch magnet und geht ab, wenn einer drüberstolpert
Hm, schon irgendwie pfiffig …
Beeindruckend. Bei mir war es aber das Kopfhörerkabel
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