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Linksaufsteher: Ein Montagsroman

Linksaufsteher: Ein Montagsroman

Titel: Linksaufsteher: Ein Montagsroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Sachau
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Musikraums war die Bühne, und die durch Vorhänge und Kulissen abgetrennte vordere Hälfte der Bereich hinter der Bühne, in dem wir uns umzogen, schminken ließen und ein letztes Mal leise unsere Texte murmelten, bevor es ins Scheinwerferlicht ging.  
    Hier stand ich zum ersten Mal vor Zuschauern. Ich war in der Achten. Es hatte sich zufällig so ergeben. Ich bin für jemanden eingesprungen. Ich hatte zwar nicht mehr als einen Satz zu sagen, aber ich war immerhin eine ganz Szene lang auf der Bühne. Das hatte gereicht. Die Scheinwerfer haben mich gestreichelt. Ich konnte trotz Gegenlicht die vielen Gesichter sehen. Die Gesichter, die Abbilder der Gehirne waren, in die die Schauspieler Gedanken einpflanzten. Seit diesem Moment wollte ich immer auf der Bühne stehen.  
    Und jetzt sind die Scheinwerfer wieder an. Und wenn ich die Augen gegen das Licht zusammenkneife, sehe ich wieder die Zuschauer. Keiner macht einen Mucks. Was soll ich hier? Einen Text sprechen? Wo sind die anderen? Wo sind die Requisiten? Was führen wir hier überhaupt auf? Was zur Hölle soll ich mitten in der Nacht auf einer leeren Bühne? Hier ist nichts als Scheinwerferlicht und die hässlichen braunen 80er-Jahre-Fliesen.  
    Hinter meinem Rücken höre ich Elvin und Adrian sprechen.  

    »
Gib alles.
«  

    »
Yay.
«  
    Hier ist doch etwas. Ein paar Meter links neben mir auf dem Boden. Ich mache einen Schritt darauf zu, schaue genau hin und schreie vor Überraschung auf. Es sind zwei abgeschnittene Zöpfe … Zöpfe, Zöpfe, Zöpfe … Zöpfe! Natürlich! Faust! Wir haben den Faust gespielt. Meine letzte Aufführung. Ich war Mephisto. Die größte Rolle, die ich je gespielt habe, und, so wie es aussieht, jemals spielen werde. Und die Zöpfe. Die gehören zu Gretchen. Und Gretchen, die Rolle hat Claudia Köhnel gespielt. Und Claudia Köhnel, das war mein erster echter Sex mit einem Mädchen … Aber, ich erinnere mich genau, Claudia Köhnel hatte bei der Aufführung überhaupt keine Zöpfe. Ich hätte mich sonst auch niemals in sie verliebt. Ich hasse Zöpfe.  
    Warum liegen hier Zöpfe auf der Bühne? Hier müssten Claudia Köhnel und die anderen stehen und ich müsste »mit Frauen soll man sich nie unterstehn zu scherzen« und lauter so Zeug sagen. Das macht mir Angst. Ich schreie noch mal. Laut.  

    »
Ja, das war schon recht fancy, aber wir wollen echten Greed in deiner Stimme hören.
«  

    »
So ein bisschen Jack-Nicholson-crazy, aber auf keinen Fall überperformen, weißt du, was wir meinen?
«  
    Wah! Die Zöpfe haben sich bewegt. Das muss … Das ist … Das war … ein Traum. Ich sitze aufrecht im Bett und bin hellwach. Mein linkes Ohr pfeift, mit dem rechten höre ich leise das Ticken meines Weckers.  

Montag  
     
    Ich bin ausnahmsweise nicht auf dem Weg ins Studio, sondern ins Coffee & Bytes. Ungewohnt. Ich soll dort zusammen mit Elvin und Adrian einen Multimediafuzzi treffen, der uns irgendeine abgedrehte Multimediaidee erläutern wird. Und, klar, mit Multimediafuzzis trifft man sich immer im Coffee & Bytes.  
    Mir solls recht sein. Viel angenehmer als eine Studiositzung mit den beiden Kokshirnen wird das zwar auch nicht werden, aber wenigstens muss ich nicht in der muffigen Sprecherkabine rumhocken. Außerdem, falls irgendjemand im Coffee & Bytes den Eindruck gekriegt hat, ich würde nur kommen, um die Donnerstagsfrau mit dem iKoffer zu stalken, ist es sicher auch nicht schlecht, wenn ich mich mal an einem anderen Tag dort blicken lasse …  
    » AAAAAAAAH! SIND SIE WAHNSINNIG GEWORDEN, SIE KRANKE MÖRDERTUSSI? WOLLEN SIE MICH UMBRINGEN? SAGEN SIE ES DOCH GLEICH, DASS SIE MICH UMBRINGEN WOLLEN! «  
    Verdammt. Montag. Ich hab es immer noch nicht im Griff.  
    »Entschuldigen Sie, ich habe Sie nicht kommen sehen und …«  
    » KEIN PROBLEM. ICH RADLE MIT 50 SACHEN DIE VETERANENSTRASSE RUNTER UND SIE REISSEN DIE AUTOTÜR AUF! KANN JA MAL VORKOMMEN. «  
    »Wie gesagt, ich …«  
    » HÄTTEN SIE NICHT GEDACHT, DASS ICH ÜBERLEBE, WAS? TJA, PECH GEHABT! UND JETZT SCHWINGEN SIE IHREN FETTEN ARSCH ZURÜCK IN IHREN STINKENDEN TRAKTOR, SONST … «  
    »Aber ich wollte doch gerade aussteigen.«  
    Nein. Nein, es ist keine gute Idee, ihr mein Fahrrad durch die Windschutzscheibe zu werfen. Auch wenn ich im Moment noch so fest davon überzeugt bin, es ist wirklich keine gute Idee. Ich muss weiterfahren. Ich. Muss. Weiterfahren.  
    » SONST … ACH, LASSEN SIE MICH DOCH IN RUHE. «  
    Ich trete in die

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