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Linksaufsteher: Ein Montagsroman

Linksaufsteher: Ein Montagsroman

Titel: Linksaufsteher: Ein Montagsroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Sachau
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Pedale, dass mir fast die Kette reißt. Erst im letzten Moment sehe ich, dass die Ampel rot ist. Bei der fälligen Vollbremsung fliege ich fast über den Lenker. Weiterfahren war auch keine gute Idee. Ich sollte lieber schieben. Ich. Sollte. Lieber. Schieben.  
    Geschafft. Ich bin abgestiegen, schiebe mein Fahrrad achtsam über den Bürgersteig und mache einen großen Bogen um alle Leute. Der Griff meiner Hände ist so fest, dass meine Lenkergriffe stöhnen, aber ich versuche an niedliche Tiere und Buddha-Statuen zu denken. Das hilft. Mein Atem wird ruhiger, und, ganz wichtig, das Zähnefletschen hat auch aufgehört.  
    Trotzdem! Warum soll man Leute, die einen beinahe umbringen, nicht hassen? Ist doch ein ganz gesunder Reflex. Da kann die Frau noch so harmlos tun und hübsch sein, sie wollte einen kaltblütigen Autotürmord an mir begehen. Ich sollte doch noch umkehren und sie erwürgen … Moment, Moment … Das ist jetzt richtig seltsam. Warum will ich die Autotürfrau ein paar Minuten später immer noch erwürgen, wenn ich mich in die Rollkofferfrau in der gleichen Situation verliebt habe? Das ergibt doch alles keinen Sinn. Die Autotürfrau sah toll aus und war auch viel mehr mein Typ. Nicht so streng, Jeans, T-Shirt, offene Haare. Warum ausgerechnet die Rollkofferfrau? Ich kapier es nicht.  
    Immerhin hat mich diese kleine Grübelei noch etwas mehr beruhigt. Mein Lenker seufzt auf, als mein Griff endlich nachlässt. Es ist auch höchste Zeit, dass ich wieder normal werde. Das Coffee & Bytes ist schon in Sichtweite, und ich habe einen Gesprächstermin vor der Brust. Zum Glück bin ich ein bisschen zu früh dran. Vor Begegnungen mit Elvin und Adrian ist es ganz wichtig, dass man nicht das kleinste bisschen Restärger in sich trägt, sonst könnte man explodieren, wenn sie anfangen zu reden.  
    Leider muss ich, bevor ich ankomme, noch eine letzte schwierige Hürde überwinden. Zwei Häuser neben dem Coffee & Bytes ist Leckerbike. Ein Fahrradladen. Kein gewöhnlicher Fahrradladen allerdings. Leckerbike verkauft nur Fahrräder für eine bestimmte Klientel: Großstadtschnösel. Leute, die, wenn sie sich dazu herablassen, Rad zu fahren, optimal aussehen wollen, am besten wie eine Mischung aus verwegenem Fahrradkurier und strahlendem Tour-de-France-Sieger. Diese beiden Radfahrer-Grundtypen kommen nämlich statistisch erwiesen am besten bei Frauen an. Wenn dann auch noch Rahmen, Reifen und Sattel farblich perfekt aufeinander abgestimmt sind, ist der Großstadtschnösel glücklich.  
    Natürlich sparen die Fahrradhersteller das Geld, das sie für die farbkundigen Designer raushauen müssen, an Qualität und Haltbarkeit wieder ein. Würde ein echter Fahrradkurier auf einem der sexy Leckerbike-Räder losfahren, würde es nach dem ersten Kilometer in seine Einzelteile zerfallen. Das weiß jeder. Deswegen habe ich dieses Geschäft stets gemieden wie der Punk die Young-Fashion-Abteilung bei C&A .  
    Dann kam aber der Tag, an dem ich dringend neue Fahrradgriffe brauchte, weil meine alten nicht mehr fest saßen, und Leckerbike war der einzige Laden, der abends noch offen hatte. Ich ging schweren Herzens rein, nahm die erstbesten Griffe aus dem Regal und kaufte sie. Sie kosteten 30 Euro. Nach wenigen Wochen haben sie angefangen, sich unter meinen Händen aufzulösen. Daraufhin war ich so töricht, den Laden ein zweites Mal zu betreten.  
    »Guten Tag. Ihre 30-Euro-Griffe lösen sich auf.«  
    »Tragen Sie Handschuhe beim Fahren?«  
    »Nein.«  
    »Dann ist es kein Wunder. Ihr Schweiß greift das Gummi an.«  
    Zum Glück war damals nicht Montag, sonst hätte ich ihm die Griffe bestimmt in den Schlund gerammt. Aber auch heute noch ist es nicht gut für mich, wenn ich montags dieses Geschäft sehe und an die selbstzerstörenden 30-Euro-Griffe denke.  
    Als wir das Leckerbike-Schaufenster passieren, stöhnt mein Lenker schon wieder ein wenig unter meinen Wutpranken. Ich beschleunige meinen Schritt … Geschafft. Jetzt ganz ruhig. Rad abstellen, alle Autotüren und Fahrradgriffe vergessen, freundlich lächeln und an was Schönes denken. Zum Beispiel an das Rauschen des blauen Meeres am Strand von Fuerteventura und ein Bambuswindspiel, das im Hintergrund einen erweiterten Dur-Akkord vor sich hinklöppelt. Ja, so geht das.  
    Leider sind der Strand von Fuerteventura und das Bambuswindspiel sofort wieder weg, als ich das Coffee & Bytes betrete. Stattdessen erscheinen ein sibirisches Sturmtief und dreißig

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