Linna singt
ein schönes Plätzchen, und wenn es mir zu doof wird, mache ich einfach die Türen zu.
Wie fange ich jetzt an? Wo fange ich an? Kann ich die Geschichte überhaupt erzählen, ohne an jene Ereignisse zu geraten, die ich auslassen will?
Falk hilft mir nicht, er stellt keine Frage, sondern beginnt, die ersten Takte von Through the Barricades von Spandau Ballet zu spielen, was meine Moral untergräbt, anstatt sie aufzubauen. Ich würde zu gerne jetzt schon die Türen des Schranks zuschlagen und ihm dabei ein paar saftige Verwünschungen an den Kopf werfen. Komm bloß nicht auf die Idee zu singen, Falk, sonst …
»Mother doesn’t know where love has gone … She says it must be youth that keeps us feeling strong …« Ich habe diesen Song immer geliebt, nicht nur weil Falk ihn bei unseren Konzerten sang, unplugged und ganz ohne uns, sondern auch wegen seines Textes. »We made our love on wasteland … and through the barricades …« Der Song ist nicht kitschig. Er ist vielmehr verzweifelt und ernüchtert. Alle Träume dahin …
»Warum bist du hier?«, frage ich laut.
Falk unterbricht sein Spiel, um zu mir aufzusehen, nicht überrascht angesichts meiner Flucht nach vorn, doch mit einem Bedauern über das im Blick, was er mir nun sagen wird.
»Ich hatte nichts anderes vor.« Stimmt, das habe ich nicht hören wollen. Langeweile ist also der Grund, weshalb er hier ist. Ich war nicht so verblendet zu glauben, dass ich der Grund sei, nicht nach dem, was ich in den vergangenen Tagen erfahren musste. Aber es hätte wenigstens die Musik sein können. »Ich muss sowieso warten, bis ich wieder …«
»Wir wollten über etwas anderes reden, oder?«, unterbreche ich ihn fordernd. »Was denkst du? War ich berechtigt in der Klapse oder nicht? Hast du eine Idee, wieso ich dort war? Wie lange? Schon irgendwelche Diagnosen parat?«
»Diagnose Linna«, entgegnet Falk und grinst mich mokant an. »Du musst mir das nicht erzählen, Mozzie, ich hab nur das Gefühl, dass es mit allem hier zusammenhängt.«
Ja, das tut es – wie sehr, kann niemand von euch ahnen. Es ist genau das Kapitel, das ich bei dieser Geschichte auslassen möchte. Ob es geht, weiß ich noch nicht. Und was bedeutet eigentlich Mozzie? Hoffentlich nichts Beleidigendes. Aber so klingt es nicht. Es klingt viel zu liebevoll. Außerdem sollte Falk dringend einen Besuch beim Logopäden in Betracht ziehen, man kann ihm ja kaum zuhören. Dumussmirdasnichallsersäln. Er ist zu faul, um korrekt zu sprechen, alles wird verschliffen und abgekürzt, oh verdammt, ich mag es, ich mag es zu sehr, um in Zukunft darauf verzichten zu wollen. Das wäre noch fataler als der Verlust meiner Haare. Ich weiß nicht mehr, was ich sagen soll.
»Es hat mit dem Klavierhocker zu tun, oder?«, nimmt Falk mir den schwierigen Anfang ab. Ich nicke und will meine Haare hinter die Ohren streichen, doch da ist nichts zum Zurückstreichen, ich hatte schon wieder vergessen, dass sie nicht mehr da sind, so konzentriert war ich.
»Ja, hat es«, bestätige ich seufzend.
»Wann war das eigentlich?«, hakt Falk nach. »Das mit dem Klavierhocker?«
»Am Abend der Bandauflösung. Nach unserem allerletzten Konzert«, sprudelt es aus mir heraus. Ich ziehe eines der Kissen auf meinen Bauch und knete es, ich kann meine Hände nicht mehr ruhig halten. »Ich bin nach Hause gekommen und sie fing Streit mit mir an, wie so oft …«
Ich kann nicht weitersprechen. Das ist doch nur ein Bruchteil der Wahrheit. Es hatte längst vorher angefangen, ja, es hatte damit angefangen, dass sie mich gar nicht erst wollte gehen lassen, wie meistens vor Konzerten, sie wollte es nicht, meine Auftritte waren ihr peinlich, sie fand, dass ich sie und meine Familie und Bekannten blamierte, wenn ich sang und tanzte, dabei war sie bei keinem einzigen Konzert zugegen gewesen. Sie konnte nicht wissen, wie ich mich auf der Bühne gab und ob es peinlich war oder nicht. Sie ging davon aus, wie bei allem, was sie mir unterstellte; die Wahrheit interessierte sie nicht.
Ich brach im Streit zu unserem Konzert auf, im Streit und mit einer bösen Vorahnung im Bauch, weil Falk nicht mehr zu den Proben gekommen war und sich immer rarer machte, auch in der Stadt bekam man ihn kaum noch zu Gesicht – beinahe ein Gefühl, als ob er sich sukzessive auflösen wolle.
Das Konzert aber war eines der besten, das wir je gaben, vielleicht sogar das beste, denn ich sang um mein Leben. Ja, das war es, was ich tat, ich sang um mein Leben und ich wusste,
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