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Linna singt

Linna singt

Titel: Linna singt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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dass es mir nicht gelingen würde. Ich legte alles hinein, was ich hatte, meine Stimme, meinen Körper und mein Herz, aber es genügte nicht. Als ich nach dem ersten toten schwarzen Moment, der mich jedes Mal überfiel, wenn ein Konzert zu Ende war, zu den anderen gehen wollte, hörte ich Maggie und Falk, hörte seine Worte und …
    »Linna? Bist du noch da? Gedanken lesen kann ich nicht.«
    »Ich … Es ging mir nicht gut nach dem Auftritt und nachdem ich die Band aufgelöst hatte.« Meine Stimme klingt fern in meinen Ohren, ein schwaches Echo meiner selbst. Nicht gut? Mein Herz schlug so schnell, dass ich kaum noch atmen konnte, dazu dieses unerträgliche, pulsierende Rauschen in meinem Kopf und meinen Gehörgängen; ich hatte Angst, taub zu werden, in Ohnmacht zu fallen und meinen Verstand zu verlieren, alles gleichzeitig. Nicht das, was ich aufgeschnappt hatte, ließ mich so panisch werden, sondern meine Gedanken und Gefühle, die mich daraufhin überfielen. Ich selbst löste diese Panik aus. Falks Worte waren nur der Trigger gewesen. Da war plötzlich etwas in mir, von dem ich nicht wusste, dass es existierte. Es erschreckte mich zu Tode.
    Als ich endlich zu Hause war und sie mich gereizt fragte, was los sei, machte ich den Fehler, mich ihr anzuvertrauen und zu sagen, was ich gehört hatte und dass ich nie wieder glücklich werden könne.
    Ich kann Falk das nicht erzählen. Er würde es nicht verstehen. Ich weiß ja selbst nicht mehr, worin dieser Trigger bestand und warum ich so heftig weinte, dass ich mich beinahe übergeben musste, obwohl ich langsam eine Ahnung bekomme, was es gewesen ist. Doch ich verdränge es, auch jetzt. Ich habe nur noch diese Reihenfolge im Kopf: Ich hörte etwas, fühlte etwas und diese Gefühle wollte ich nicht haben. Niemals. Und ich habe diesen fürchterlichen Fehler gemacht, ihr mein Herz auszuschütten.
    »Sie … sie konnte nicht damit umgehen, dass es mir nicht gut ging, hat mich deshalb angeschrien und niedergemacht …«
    »Weil es dir nicht gut ging? Sie ist deine Mutter!«, fällt Falk dazwischen. »Sie hätte sich um dich kümmern und dich trösten müssen.«
    »Ja, sie ist meine Mutter«, bestätige ich verbittert. »Aber offenbar hat sie das in diesem Moment vergessen. Ich meine außerdem seelisch. Mir ging es seelisch nicht gut.« Eigentlich macht das keinen Unterschied. Eine Mutter sollte sich in beiden Fällen Gedanken machen, doch wenn ich eine Verletzung oder eine Krankheit gehabt hätte, hätte sie sich um mich gekümmert, lieblos zwar, aber sie hätte es getan. Mit meinem Kummer oder gar Ängsten war sie immer überfordert. »Als ich ihr erzählte, warum, fing sie an, mich runterzumachen, wie immer, die ewig gleichen Beschimpfungen, wie konntest du nur so naiv und dumm sein, bei dir wird es sowieso kein Mann aushalten, siehst du nicht, wie hässlich du bist, wenn du heulst, du landest irgendwann in der Anstalt oder auf dem Strich, bla, bla, bla, dann dachte sie, ich habe Drogen genommen und stünde deshalb so neben mir, bis es wieder darin endete, dass sie mir die Schuld gab …« Ich muss eine Pause einlegen, ich kann nicht weitersprechen, ohne zu weinen. Und vielleicht hat sie recht, vielleicht sehe ich hässlich dabei aus.
    »Dafür, dass dein Papa weggegangen ist?«
    Ich nicke. Plötzlich habe ich das Gefühl, sie verteidigen zu müssen. »Meine Mutter ist depressiv, weißt du, seitdem ich mich an sie erinnern kann, ist sie das. Sie kommt nicht darüber hinweg, dass er sie verlassen hat, aber sie war vorher schon schwierig, die anderen Menschen waren immer schlecht und sie war die Unverstandene, überall Feindbilder, sie hat sich als Opfer gesehen und redete sich ein schwaches Herz ein und lauter solche Sachen. Unser Badezimmerschrank ist eine Apotheke, sie nimmt ständig Schmerz- und Schlafmittel, es ist kein Wunder, dass sie sich schlecht fühlt. Aber ihr war kein Arzt fähig genug, außerdem lehnt sie alles Psychologische ab, sie glaubt nicht daran, sie will sich nicht helfen lassen. Sie redet abfällig über andere Depressive, als könnten sie etwas dafür und hätten sich nur nicht im Griff. Sie hatte ja einen triftigen Grund, weshalb sie so war und ist, sie war alleine, mein Vater war weg, ihre große, einzige Liebe.«
    Wie immer, wenn ich daran denke, tut es mir weh. Nur eine einzige große Liebe. Sie hasste ihn dafür und trotzdem konnte kein anderer Mann ihm das Wasser reichen, alle fielen durch ihr Raster. Selbst ich bin durch ihr Raster gefallen und

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