Linna singt
orientierungslos, als ich langsam und lautlos durch die Nase einatme – und nichts rieche. Niemanden erkenne. Sosehr meine anderen Sinne sich auch schärfen, sie können diesen Verlust nicht ersetzen.
Nun öffnen sich seine Finger wieder, geben meinen nackten Knöchel frei und schieben sich unter mein Pyjamahosenbein, um die Wade hinauf bis zu meiner Kniekehle zu wandern, wo sie ein paar enervierend lange Sekunden liegen bleiben, als überlege er, wie er weiter vorgehen soll.
Die Hand zieht sich aus meinem Hosenbein zurück, kriecht raschelnd unter der Decke nach oben, schiebt sich unter den Bund der Pyjamahose und zerrt sie mit einem kräftigen Ruck samt Slip von meinem Hintern, bevor sie grob zwischen meine Beine fasst, in einer getriebenen und zugleich hilflosen Mischung aus Hast und Gier. Auf diesen Moment habe ich gewartet – auf den Moment, in dem sein Oberkörper in meinen Radius gerät. Mir genügt ein schneller Schlag mit der Faust und ich habe ihn voll erwischt, er jault wie ein getretener Hund und purzelt rumpelnd vom Bett, um sich mit einem erschrockenen Keuchen aufzurappeln und zur Tür zu stürzen, wo er sich den Kopf gegen den Rahmen schlägt vor lauter Eile.
Die Tür schließt sich, bevor ich Licht machen kann, doch er ist weg, Gott sei Dank, er ist weg … Mit der linken Hand ziehe ich meine Schlafanzughose und meinen Slip wieder über den Po, dann stürze ich ans Fenster, öffne es trotz des beißenden Frosts da draußen und drücke meine rechte Faust in den Schnee, um sie zu kühlen. Ich hätte ihm hinterherlaufen und ihn stellen sollen, aber ich muss mich waschen, meinetwegen eiskalt, ich kann damit keine Sekunde warten. Mein Unterleib brennt vor Scham und Erniedrigung, nur langsam sickert die Gewissheit durch, eine Grenze gesetzt zu haben. Ich hätte es viel eher tun sollen. Ich weiß nicht, wo ich ihn getroffen habe, ob am Jochbein, an der Schläfe oder am Kinn, aber es wird nicht bei einer Schwellung bleiben. Das gibt einen saftigen Bluterguss, vielleicht fließt sogar Blut.
Meine Fingerknöchel schmerzen; es ist das erste Mal, dass ich außerhalb des Rings und ohne den Schutz meiner Handschuhe zugeschlagen habe, doch viel schlimmer ist das brennende Gefühl in meinem Bauch. Oh Gott, was würde ich jetzt für eine Dusche geben … Zitternd greife ich in meine Pyjamahose und verreibe den Schnee zwischen meinen Beinen, ich habe nicht die Ruhe, ihn zu schmelzen oder gar auf dem Herd zu erhitzen. Du widerwärtige Missgeburt, denke ich wutentbrannt, während ich versuche wegzuwaschen, was nicht wegzuwaschen ist.
Wer war es? Falk? Nein, das glaube ich nicht, das kann nicht sein! Er darf es nicht gewesen sein, bitte nicht. Auch wenn ich gerade von ihm geträumt hatte, als es geschah – es ist nicht richtig gewesen. Und es ist nicht sein Stil. Das hat er nicht nötig. Ich muss mir das einreden, sonst drehe ich durch.
Doch wer war es dann? Wem von den anderen traue ich so etwas zu? Habe ich nicht vorhin noch überlegt, ob Jules der Psycho unter uns ist? Jules, der Filme von mir auf seinem Laptop speichert und ausgeflippt ist, als ich mit meiner Zunge seine Brust liebkoste – weil er es eigentlich mochte, zu sehr mochte? Seine Hemmschwelle ist sowieso stark herabgesetzt, er hat getrunken, er nimmt sich jetzt, was er will – was er schon die ganze Zeit wollte und niemals bekommen hat, weil ich zu dumm war, es zu sehen …
Ich erlaube es mir nicht zu weinen, nur Opfer weinen und ich will mich nicht als Opfer sehen, das würde mich meiner letzten Kraft berauben. Schon jetzt spüre ich den innigen Wunsch in mir aufbegehren, nach nebenan zu Falk zu rennen und ihm zu erzählen, was passiert ist, aber mein Zimmer scheint mir der einzig sichere Platz in dieser Hütte zu sein. Jules könnte draußen auf mich lauern und mich packen, bevor ich Falks Zimmer erreiche, mir den Mund verstopfen, damit ich nicht schreien kann …
Ob ich Klopfzeichen geben soll? SOS an die Wand zu Falk hinüber? Ich versuche es mit meiner unverletzten Hand, sachte und fragend, doch alles, was ich höre, ist lähmende Stille und das ewige Knistern im Ofen. Keine Reaktion. Wenn die Jungs nur halb so viel getrunken haben, wie sie es früher bei unseren Partys zu tun pflegten, schläft Falk nebenan seinen Rausch aus und nimmt gar nichts mehr wahr. Ich schlage mir den Gedanken aus dem Kopf, einfach rüberzulaufen; ich weiß nicht, ob Jules noch im Flur ist und nur darauf wartet, dass ich nach draußen komme. Alles, was ich jetzt
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