Linna singt
heruntergepurzelt? Wer von ihnen war bei mir im Zimmer?
»Wir fahren heim«, krächzt Simon in die Stille hinein. »Das hat keinen Sinn mehr hier. Wir fahren nach Hause. Ich ruf nachher die Bergwacht an, sie sollen uns abholen.«
Maggies Schluchzen wird lauter. Auch mir ist nach Heulen zumute, nach Heulen und Fluchen und Toben und, ich gebe es zu, auch nach Schlagen. Jeder der drei hat eine Zusatzbackpfeife verdient, aber ich weiß auch, dass Simon recht hat. Wir müssen dem hier ein Ende setzen, bevor es weiter ausartet. Das ist das Vernünftigste, was wir tun können.
Trotzdem will ich es nicht wahrhaben. Wenn schon Drehbuch, dann bitte mit einem vernünftigen Ende, nicht mit einem, das tausend Fragen offen lässt und mich geradewegs zurück in mein altes Leben befördert.
»Okay«, sage ich leise. »Dann fahren wir heim.«
»Entschuldigt mich«, murmelt Tobi, springt auf und taumelt nach draußen, wo er sich in den Schnee übergibt, widerliche, lang gezogene Geräusche, die mich beinahe selbst würgen lassen. Ich schließe die Augen und versuche, mich auf etwas anderes zu konzentrieren. Falk legt unter dem Tisch seine Hand auf mein Knie und drückt kurz zu, doch ich ziehe mein Bein abrupt weg.
Jules presst sich die Hand vor den Mund und schluckt, ihm ist nicht minder übel als Tobi, nur gehört er zu jenen Menschen, die saufen können, ohne zu kotzen; Jules steckt eine Menge weg. Am unbeschadetsten scheint Falk aus dem Gelage hervorgegangen zu sein. Auch er sah schon lebensfroher aus, doch einen Kerl wie ihn haut so schnell nichts um. Zudem glaube ich, dass er seine Grenzen besser kennt als jeder andere hier. Das muss er, wenn er mit Haien planschen geht.
»Maggie, hör doch auf zu weinen.« Simon legt den Arm um ihre bebenden Schultern. »Schwesterchen … So schlimm ist das alles nicht.«
»Nein?«, ruft Maggie erstickt. »Findest du nicht? Du findest das nicht schlimm?« Fuchtelnd zeigt sie an die Decke. »Das ist – das ist …« Sie scheitert daran, ein passendes Wort zu finden, steht auf und läuft schluchzend aus der Stube.
Draußen hat Tobi endlich aufgehört zu würgen, doch er kehrt nicht in die Stube zurück. Auch ich bringe keinen Bissen mehr herunter. Ich mache es wie Maggie, nur ohne Heulen und Schreien, ich stehe auf und gehe in mein Zimmer zurück, ich weiß nicht, was ich hier noch soll.
Simon wird die Bergwacht alarmieren, wir werden heimfahren. Das Spiel ist aus. Ich muss damit klarkommen, dass meine Freunde niemals meine Freunde waren und ich nicht erfahren werde, wer von ihnen mich zu Boden zwingen wollte. Immerhin, er hat es nicht geschafft.
Nachdem ich die Tür lautlos hinter mir geschlossen habe, knie ich mich auf die kalten Dielen, um meine Klamotten zusammenzulegen und in meinen Rucksack zu stopfen, damit ich bereit bin, wenn die Bergwacht eintrifft. Ich weiß nicht, wie sie uns von hier wegholen wollen, aber ich habe sonst nichts zu tun, und wenn ich gar nichts mache, verliere ich wirklich noch den Verstand.
Doch schon wenige Minuten später klopft es an meine Tür. Obwohl ich nicht reagiere, öffnet sie sich nach drei höflichen Sekunden und im nächsten Moment klebt Lunas feuchte Schnauze an meinem Ohr. Ausnahmsweise drücke ich sie nicht weg. Es ist vielleicht das letzte Mal, dass sie mich besabbert.
»Ich war es nicht«, sage ich, ohne aufzusehen, und versuche, einen meiner dicken Pullover ordentlich zu falten. Als sich der Ärmel zum dritten Mal seitlich hervorschiebt, knülle ich ihn gereizt zusammen und pfeffere ihn in die Ecke. »Ich war es nicht!« Dieses Mal brülle ich, doch Falk bleibt ruhig auf meinem Bett sitzen und schaut mich unentwegt an, bis ich ihm ebenfalls in die Augen sehe. Glaubt er mir oder glaubt er mir nicht?
»Du hättest Grund, dich an mir zu rächen, Mozzie. Oder?«
»Oh ja, das hätte ich, vielleicht sogar mehr, als die anderen ahnen«, zische ich und betrachte die Schwellung über seinem Auge. Irgendwie enttäuscht es mich, dass es nur eine Schwellung und kein Hämatom ist, obwohl ich mir kaum etwas sehnlicher wünsche, als dass Falk nicht derjenige war, den ich mit meiner Faust getroffen habe. »Wo wir schon beim Thema sind: Was habt ihr eigentlich getrieben heute Nacht?«
Falk macht ein undefinierbares Geräusch, irgendwo zwischen Bedauern und Erheiterung. »Wenn ich das noch so genau wüsste.« Stöhnend reibt er seinen Nacken. »Es war eigentlich ganz witzig, aber dann … es ging um Musik und um … um … Ich weiß es nicht mehr«,
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