Linna singt
schmerzhaft verkrampfen, doch ehe die Hand mich wegziehen kann, wirbele ich herum und schlage zu. Meine Faust wird sicher abgefangen, bevor sie treffen kann. Jetzt werde ich an beiden Armen festgehalten. Augenblicklich beginne ich zu zittern.
»He, Mozzie, langsam … ich bin es …« Meine linke Hand kommt wieder frei und ich muss sie in meine Hosentasche stopfen, um nicht erneut zuzuschlagen.
»Was soll der Scheiß?«, keuche ich unterdrückt. »Warum lauerst du mir auf? Ich dachte schon, es sei Jules.«
Hektisch betätige ich den Lichtschalter, doch es bleibt finster. Nichts zu sehen.
»Und ich war mir nicht sicher, ob du Linna bist. Immerhin liege ich hier auf der Lauer. Warte eine Sekunde, gleich siehst du mich.«
Ein Feuerzeug flammt auf und spendet einen schwachen, unruhigen Lichtschein vor meinem Gesicht. Natürlich ist es Falk … Ja, er ist es. Groß, breitschultrig, tiefenentspannt. Meine Schultern sinken ein paar Zentimeter herab und ich schaffe es, meine Faust zu lösen.
»Warum funktioniert die Lampe nicht mehr? Ist das Gas leer?«, frage ich im Flüsterton. Falk lässt das Feuerzeug ausgehen, ohne meine rechte Hand loszulassen.
»Ich habe die Zufuhr abgedreht. Wir wollen schließlich nicht auf den ersten Blick entdeckt werden, oder? Komm.«
Langsam führt er mich an der Wand entlang zur Querseite des Dachbodens.
»In die Knie.« Ich gehorche und lasse mich in die Hocke sinken. Falk schiebt mich nach vorne. Kühles Papier streift meine erhitzte Wange und ich höre es über mir rascheln. Aha. Das ist also unser Versteck. Falk hat den Flipchart so stehen lassen, wie wir ihn heute Morgen vorgefunden haben. Er bildet immer noch eine Art Dach, unter dem wir uns einigermaßen gut verbergen können, wenn wir uns sehr nah nebeneinandersetzen. Noch besser wäre es, wenn wir uns ineinandersetzen könnten, denn Falks Kreuz ist mindestens so breit wie der Flipchart selbst, aber ich sage nichts, sondern quetsche mich, so gut es geht, neben ihn, bis unsere Schultern sich berühren, wohl wissend, dass mich derjenige, dem wir hier auflauern, sofort sehen wird, wenn er eine Taschenlampe durch den Raum wandern lässt.
Falk zieht etwas aus seiner hinteren Hosentasche und im nächsten Moment flimmert es blau vor mir auf, so hell in der Finsternis dieser Nacht, dass ich blinzeln muss. Doch dann erkenne ich, was es ist, und keuche vor Überraschung auf.
»Du hast … du hast … das ist ein Handy!«.
»Richtig«, antwortet Falk mit angenehm tiefer Räuber-Hotzenplotz-Stimme, deren sonorer Klang sich sofort über seine Schulter auf meine Brust zu übertragen scheint, wie ein gleichmäßiges, zärtliches Vibrieren. Überhaupt elektrisiert seine Wärme mich so sehr, dass ich zunehmend Mühe habe, klar zu denken und mich in der Heftigkeit zu empören, wie es eigentlich nötig wäre. Das hier ist sein Handy und es funktioniert! Es ist gar nicht verschwunden! Gerade loggt er sich vor meinen Augen ins Internet ein.
»Hör mal, Mozzie, eine Frage. Warum findet man keine Treffer über deine Boxkämpfe, wenn man dich googelt? Du bestreitest doch Kämpfe, oder? Darüber müsste berichtet werden.«
»Ist das jetzt irgendeine Aufnahmeprüfung für unseren Lauschangriff? Und wieso hast du ein Handy?«
»Erst meine Frage. Hab eben nach dir gesucht, um mir die Zeit zu vertreiben, und ich finde nichts. Hast du dir das nur ausgedacht?«
Schnaubend reiße ich ihm das Handy aus den Fingern, scrolle in das Eingabefenster und tippe meinen Boxernamen hinein. Lavinia Temudschin. Nach einigen stillen Sekunden spuckt Google die Ergebnisse aus, Berichte und Fotos zu meinen letzten Kämpfen. Sogar ein Video ist dabei, das irgendjemand auf YouTube gestellt hat. Wortlos gebe ich Falk das Handy zurück.
»Temudschin?«
»Der mongolische Geburtsname meiner Großmutter. Klingt gefährlicher, als wenn eine Linna Sommer aufgerufen wird. Vor der hat niemand Respekt, glaub mir. Aber Temudschin klingt nach einer Boxerin, vor der man sich in Acht nehmen sollte. Und das solltest du auch, wenn du mir nicht erklärst, warum du ein Handy hast. Ich dachte, sie wären weg!«
»Waren sie ja auch.« Falk schaltet es wieder aus und lässt es zurück in seine Tasche gleiten, wofür er den Hintern anheben muss, sodass seine Schulter sich noch fester gegen meine drückt. »Aber ich hab mir gemerkt, wo ich sie hingetan habe. In Jules’ Basedrum. Hätte den Verdacht auf alle gelenkt, wenn sie dort gefunden worden wären. Jeder von uns hätte es sein
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