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Linna singt

Linna singt

Titel: Linna singt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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ich dir trauen darf oder nicht! Woher soll ich wissen, ob ich es kann? Wer sagt mir denn, dass nicht du der Psycho unter uns bist? Oder du mit den anderen unter einer Decke steckst?«
    »Dein Herz? Dein Instinkt? Was ist mit deinem Instinkt?«
    Gute Frage. Mein Instinkt ist im Moment vor allem auf Flucht oder Kampf aus. Mehr Flucht als Kampf. Er kann mir nicht sagen, was richtig ist. Abgesehen davon fühlt er sich restlos verkümmert an.
    »Ich weiß es nicht«, wiederhole ich stur. »Keine Ahnung.«
    »So geht das aber nicht, Mozzie. Wenn wir hier zusammenarbeiten wollen, musst du mir vertrauen. Also bitte entscheide dich klar dafür oder dagegen. Ohne dein Vertrauen hat es keinen Sinn. Wir müssen offen miteinander reden können, alles andere ist zwecklos. Ich habe sowieso das Gefühl, dass du mehr weißt als ich. Du warst so still beim Abendessen.«
    »Das waren wir alle! Wir waren alle still.« Ich komme mir vorgeführt vor, mal wieder. »Und ich möchte, dass du mir Simons Handy gibst. Bitte. Ich muss es haben.«
    »Warum denn das?« Falk lässt das Feuerzeug ein drittes Mal aufflammen und blickt mich prüfend an, bevor er mit dem Kinn zum Schlagzeug weist. Sie sind also noch dort. »Möchte er Hilfe holen, wegen seiner Verletzung? Oder …?«
    Doch ich bin schon zum Schlagzeug gelaufen und greife in die Basedrum. Auch im Finstern ertaste ich Simons Handy sofort, es ist das mit der Schutzhülle. Aber es ist auch eines dieser hochmodernen Dinger, mit denen ich mich nicht auskenne, kaum Knöpfe und ein spiegelglatter pechschwarzer Touchscreen. Willkürlich drücke ich auf den wenigen Tasten herum, bis der Bildschirm aufleuchtet und mir die Uhrzeit und das Datum anzeigt. Vorsichtig berühre ich ihn, fahre mit den Fingerspitzen darüber, da, jetzt kann ich die Begrüßungsseite wegschieben und …
    »Was ist?«, fragt Falk argwöhnisch, als ich nichts mehr sage. Ich kann nichts sagen. Wie geblendet starre ich auf das kleine braunäugige Mädchen, das sich lächelnd eine Haarsträhne aus dem runden, sonnendunklen Gesicht streicht. Es kann kaum älter als vier Jahre sein, überall Babyspeck, aber es trägt ein rosafarbenes Flatterkleidchen, als wäre es schon eine ganz große Lady. Am meisten aber verstört mich die Art des Fotos. Es sieht aus wie eine Paparazziaufnahme. Heimlich geschossen. Dieses Mädchen wusste nichts davon. Und der Ausschnitt des Kleidchens hängt so weit unten, dass man seine linke Brustwarze sieht …
    »Warte hier«, knurre ich, springe auf und renne so leise wie möglich die Treppe hinunter, um auf direktem Wege zu Simons Zimmer zu laufen. Das Klopfen spare ich mir.
    »Was ist das? Oder besser: Wer ist das? Was hat dieses Foto zu bedeuten?«
    Nur das Handy schickt schwach blaues Licht durch die Dunkelheit, doch es genügt mir, um zu sehen, dass er geschlafen hat. Mein Hals tut weh, so sehr möchte ich ihn anschreien, aber dann ist Falks und mein Plan hinüber. Es gibt vieles, was ich tolerieren kann, aber das hier geht zu weit. Simon steht auf kleine Mädchen? Es übersteigt meine Vorstellungskraft, doch einen anderen Rückschluss gibt es nicht.
    »Du elendes Schwein«, fauche ich ihn an, als er nichts sagt, sondern nur blinzelnd wach zu werden versucht, sich aufsetzt und dann in einer schwachen Geste seinen gesunden Arm hebt. Dabei wäre jeder Versuch zwecklos, mir das Handy zu entreißen. Ich bin schneller, flinker, stärker als er. Mit erhobenem Arm bleibt er im Bett sitzen, die Augen fest auf das Handy gerichtet, dessen Display sich gerade wieder verdunkelt. Ich drücke erneut auf die Seitentaste, damit Simon nicht in der Finsternis verschwindet.
    »Linna … also hast du doch unsere Handys …«
    »Ist das dein Hobby? Kleine Mädchen beobachten und abknipsen und dir dann …« Nein, ich kann das nicht aussprechen. Nicht aus Scham oder Anstand, sondern weil ich es nicht glauben kann. Es funktioniert ebenso wenig, wie sich vorzustellen, dass Maggie mir die Haare abgeschnitten hat und Jules mich nachts begrapscht und Botschaften an die Wand pinselt.
    »Guck sie dir doch mal genau an«, sagt Simon sehr leise und frappierend traurig. »Guck sie dir an, Linna.«
    Widerstrebend drehe ich das Smartphone zu mir, um das Mädchen zu betrachten. Was soll ich erkennen? Meine Augen bleiben schon wieder an ihrem verrutschten Ausschnitt hängen, ich muss da hinsehen, ich kann nicht anders. Ich könnte nur anders, wenn dieses Mädchen meine Tochter wäre und …
    »Nein«, flüstere ich, reiße mich von

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