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Linna singt

Linna singt

Titel: Linna singt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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danach hab ich alles wieder vergessen.«
    »Ach, so wie beim letzten Mal?«, frage ich ironisch und muss selbst darüber grinsen. »Bitte, keine Wiederholung. Das eine Mal hat mir schon genug Ärger eingebrockt.« Mein Grinsen bleibt, ich kann es nicht unterbinden. Liebe machen. So etwas hat noch nie ein Mann zu mir gesagt. Dass er Liebe mit mir machen will. Es klingt herrlich altmodisch und direkt. »Wie du siehst, können wir es nicht. Also rede schon. Was war, als du acht Jahre alt warst? Was ist passiert?«
    Mit einem ergebenen Seufzen lässt sich Falk rücklings auf mein Bett fallen. Dampfend steigt die Wärme von seinem Körper auf, so kühl ist es hier drinnen. Kurzerhand schlage ich die Bettdecke über seine Brust und auch über das Tattoo auf seiner linken Hüfte, das ich soeben entdeckt habe. Irgendein Tribalmotiv, polynesisch vermutlich. Es ist jammerschade, ihn zu verhüllen, aber ich habe mich zu einem Nein entschieden und dabei wird es auch bleiben. Vorerst.
    »Eigentlich nichts Schlimmes.« Tja, das dachte ich mir irgendwie schon. Falk ist intakt. Er mag ab und an Flashbacks haben, doch sie ziehen vorüber. Er hatte einen kurzen Panikmoment, das ist alles. Ich hingegen habe ab und zu kurze Glücksmomente in einem panischen Dauerzustand. »Aber für mich war’s schlimm. Ich bin in der Schule eingeschlossen worden, versehentlich. Dritte Klasse. Ich hatte meinen Rucksack vergessen und bin noch mal zurück in den Saal gelaufen, nach Unterrichtsschluss, und als ich wieder gehen wollte, stand ich vor verschlossener Türe. Alles dicht, auch der Hinterausgang. Ich hörte nur noch, wie der Bus ohne mich abfuhr. Also bin ich zum Hausmeister gelaufen, habe geklopft und ihn gebeten, meine Eltern anzurufen, damit sie mich abholen. Aber meine Mutter war mit meiner Schwester beim Arzt und mein Vater hat Heu gemacht und war nicht erreichbar und so … so musste ich warten. Der Hausmeister befahl mir, mich in sein Zimmer zu setzen. Er schloss die Tür und …« Erneut dringt ein schweres Seufzen aus Falks Brust, doch dieses Mal klingt es nicht genervt, sondern wie das Stöhnen eines verletzten Tieres.
    »Er hat dich angefasst?« Ich muss es so harmlos formulieren, jede andere Formulierung erscheint mir zu brutal und erst recht die Bilder, die dabei durch meinen Kopf jagen. Falk war so hübsch, damals wahrscheinlich noch hübscher als auf dem Gymnasium; das Weiche nahm mit steigendem Alter ab. Ist ihm etwas widerfahren, dessen ich gestern noch Simon bezichtigen wollte?
    »Nein. Das hat er nicht. Er tat nichts, außer mit mir in diesem Zimmer zu sitzen und mich anzustarren. Ich hab gar nicht kapiert, warum er das tut, ich war acht, ich meine, ich hatte keine Ahnung, dass es … dass es so etwas gibt. Dass Männer kleine Jungs mögen, auf diese Weise. Ich spürte nur, dass etwas nicht stimmte, dass ich mutterseelenallein und gleichzeitig mit einem anderen Menschen eingesperrt war, der mir Angst machte. Mit seinen Blicken. Er ist immer wieder mit der Zunge über seine Unterlippe gefahren, sodass sie feucht glänzte, ich werde das nie vergessen. Wie eine Katze, die sich auf ihre Milch freut. Heute denke ich, dass er sich nur mit größter Mühe beherrschen konnte, und er hat sich ja auch beherrscht, aber … Danach wollte ich nie wieder in einem Raum eingesperrt sein. Ich hab sogar nachts die Zimmertür offen gelassen, obwohl ich Albträume hatte, dass der Mann zu mir kommt, in unser Haus.«
    »Hast du deinen Eltern davon erzählt?«
    »Was hätte ich denn erzählen sollen?« Falk hebt fragend beide Arme und lässt sie zurück auf die Matratze fallen, es sieht aus wie das Flügelschlagen eines gestrandeten Engels. »Dass das blöd für mich war? Natürlich war’s blöd für mich, aber was hätte ich ihm vorwerfen können? Er hat das gemacht, was richtig war, auf mich aufgepasst, bis meine Mutter kam. Ich konnte ihm nichts vorwerfen. Aber ich glaube, dass er jede Sekunde gegen den Trieb angekämpft hat, mir an die Wäsche zu gehen.«
    »So ähnlich ging’s mir eben auch«, bemerke ich trocken und zu meiner Überraschung lacht Falk leise auf. »Sorry, das Taktgefühl hab ich nicht erfunden«, setze ich trotzdem hinterher.
    »Schon okay, Mozzie.« Er tätschelt beiläufig mein Knie, schaut aber weiterhin an die Decke. Das Thema »Linna verführen« ist für heute offenbar abgehakt. Falks Freiheitsdrang … Hängt er auch mit diesem Erlebnis zusammen?
    »Wir haben keinen Hausmeister. Du bist dreiundzwanzig und nicht acht.

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