Linna singt
Haut mir, dass sie sich unzureichend bedeckt fühlt. Sie wird sich noch wundern.
Nein, ich will diese Nacht nicht tatenlos verstreichen lassen. Schon während meines einsamen Abendessens in der Stube verstärkte sich meine Vorahnung, dass es die letzte in dieser Hütte sein wird. Falk hat auf Maggies Drängen hin den gesamten Nachmittag an der Funkstation gebastelt und versucht, sie zum Laufen zu bringen, und es sah ganz so aus, als wisse er, was er da tut. Außerdem haben Jules und er am Stromgenerator herumgeschraubt. Irgendein Relais ist defekt, so viel habe ich noch verstanden, und bei der Funkstation ist es wohl ein Kabel, das Ärger macht. Zu guter Letzt sind die Handys wie durch ein Wunder – also Falks Einsehen – wieder aufgetaucht und wurden mit großem Hallo in Empfang genommen. Niemand wagte, die Frage zu stellen, wer sie versteckt hatte; ich ging stillschweigend davon aus, dass sie immer noch mich im Verdacht hatten.
Es gibt jedoch einen weiteren Grund, weshalb wir nicht mehr lange bleiben werden. Simons Verfassung hat sich verschlechtert – seelisch, nicht körperlich. Sorgen macht es mir dennoch. Als ich vorhin ein letztes Mal nach ihm sah, wirkte er noch grüblerischer und abweisender als heute Nachmittag. Ich weiß nicht, welche Gedanken ihn beschäftigen oder ob er sich kränker fühlt, als er zugibt, er ließ mich nicht in seinen Kopf schauen und schmiss mich regelrecht aus seinem Zimmer, als ich Anstalten machte, erneut seinen Schnitt zu untersuchen.
Es sei alles wieder offen, hat Falk zu mir gesagt. Doch eine Wiederholung der Vergangenheit ist nicht möglich, dazu ist zu viel zwischen uns passiert. Es stört mich nicht, ich will keine Wiederholung, ich will eine Weiterführung. Ja, ich will, dass das passiert, was ich mir so oft ausgemalt habe, die Vollendung dessen, was wir damals begonnen haben. Es ist möglich! Es ist möglich, mehr denn je sogar, obwohl mich das Wissen über sein verlorenes Vertrauen unvermindert kränkt. Doch er hat selbst angedeutet, dass er neues fassen konnte. Wir haben eine Basis.
»Okay«, flüstere ich zu mir selbst. »Dann los.« Ich vermisse meine Haare einmal mehr, als ich mich zur Tür wende und sie geräuschlos öffne, Zuschauer und lauschende Ohren kann ich jetzt nicht gebrauchen. Ich habe sogar meine Boots ausgezogen, um auf Socken zu Falk schleichen zu können. Boots machen sich nicht gut beim Verführen. Aus meinem spanischen Paar kann ich mich stehend nur unter gröbsten Verrenkungen befreien und das tötet die Stimmung im Nu.
Ich klopfe an, so sacht ich kann, schiebe seine Tür leise auf und trete ohne ein Wort ein. Mir bietet sich exakt das Bild, das ich erwartet und erhofft hatte. Falk ist noch wach und sitzt bequem auf seinem Bett, in Jeans und Pulli und nicht in Skiunterwäsche (gute Wahl!), die Gitarre auf seinen Knien und Lunas Kopf zwischen den Füßen. Die Kerzen auf dem Fensterbrett und seinem Nachttisch spenden ein mildes, schmeichelndes Licht. Aber mir fehlt die Musik. Unaufdringliche, gedämpfte Musik vom Band, keine handgemachte. Ja, wir bräuchten Musik. In meinem Kopf hat es immer Musik dazu gegeben.
Jetzt begleitet uns nur das Knacken und Zischen im Ofen. Wenigstens hat Falk ihn zum Laufen gebracht, sodass es hier drinnen wärmer ist als in meinem Zimmer. Viel wärmer. Ich muss sofort anfangen, ich will nicht ins Schwitzen geraten, nicht bevor wir etwas tun, wobei man offiziell schwitzen darf. Die Hitze des Feuers ist wie eine Flammenwand, die meine rechte Gesichtshälfte auflodern lässt, als ich mich vor den Schrank stelle, den Saum meines schwarzen Pullovers fasse und ihn mit einem geübten Ruck über meinen Kopf ziehe.
Falk stockt, ohne etwas zu sagen, dann legt er die Gitarre langsam beiseite, seinen nur gelinde überraschten Blick fest auf mich gerichtet, und weist Luna mit einem leisen, aber bestimmten »Down« vom Bett. Sie gehorcht nicht sofort, Falk muss ihr einen Stups gegen die Hüfte geben, damit sie einsieht, ihren Platz zu räumen. Sie tut es in demonstrativer Langsamkeit, ihre zutiefst gekränkten Augen in bohrender Intensität auf mich gerichtet, bis sie sich umständlich in der Zimmerecke zusammenrollt, mit dem Hinterteil zu uns gedreht. Sie kennt solche Situationen, schießt es mir durch den Kopf. Sie hat diesen Befehl nicht zum ersten Mal erhalten. Sie weiß genau, was nun passieren wird.
Dumm nur, dass ich es selbst nicht weiß. Plötzlich komme ich mir viel zu ernst und präsent vor, meine Gegenwart ist so
Weitere Kostenlose Bücher