Linna singt
wieder darauf anspielen willst …«
»Will ich nicht«, fällt mir Simon schroff ins Wort. Himmel, hat der schlechte Laune. »Aber ihr müsst doch darüber gesprochen haben, wer es sein könnte, oder?«
»Haben wir das die vergangenen Tage? Nein. Ihr seid gesammelt davon ausgegangen, dass ich es war, und ich denke, heute ist es nicht anders. Oder?«
»Ich meinte, wer schwul ist.«
»Nein, haben wir nicht.« Wieso ist ihm das so wichtig?
»Hm«, macht Simon unbestimmt und schaut demonstrativ nach links aus dem Fenster, wo nichts zu sehen ist als weißes Einerlei. Deutlicher könnte er mir nicht zeigen, dass ihn etwas beschäftigt, ich aber nicht diejenige bin, die er in seine Gedanken einweihen möchte. Nach einer weiteren stillen Minute ist es mir zu blöd, sein Profil zu mustern, ohne dass etwas geschieht. Mit einem Schulterzucken stehe ich auf und verlasse sein Zimmer.
Aus purer Langeweile lege ich mich wieder zurück in mein Bett, das noch warm und feucht von Falk ist, sogar den Abdruck seines Körpers kann ich auf der Matratze sehen. Ich nehme die Decke, die auf seiner Brust lag, knautsche sie zusammen und drücke sie an meine Nase. Oh Falk, du Dussel … Hättest du das nicht ein bisschen geschickter anstellen können?
Jetzt bin ich unter Zugzwang, und wie! Noch einmal wird er mich nicht fragen und sich eine weitere Abfuhr einhandeln. Wenn es passiert, dann weil ich den ersten Schritt mache – ganz anders als in jener Nacht vor fünf Jahren, in der Falk die Initiative ergriff. Plötzlich hat er mich an die Wand gedrückt und geküsst. Ich mache nie den ersten Schritt, immer nur den letzten – indem ich Nein sage. Ja, Maggie erzählte da nichts Falsches, ich weise die Männer auf der Bettkante zurück. Ist gerade eben wieder geschehen.
Dabei will ich das bei Falk eigentlich gar nicht. Wenn es eine dritte Chance gibt, werde ich sie nicht ausschlagen. Dann gibt es kein Zurück mehr. Keine Ausreden und kein Versteckspiel.
Mein Glück liegt zum ersten Mal in meinem Leben ganz allein in meiner Hand. Und das macht mir mehr Angst als alles andere.
NO MAN’S LAND
Das war die letzte Tür. Tobis Zimmer, schräg gegenüber von mir. Jetzt sind alle in ihren Betten. Zum ersten Mal haben wir das Abendbrot nicht gemeinsam eingenommen, sondern uns nacheinander etwas zu essen gemacht; wenn wir uns dabei begegneten, gingen wir höflich, aber distanziert miteinander um. Keiner von uns hatte die Nerven, ein Gespräch zu führen.
Falk habe ich seit heute Nachmittag nicht mehr gesehen. Aber ich weiß, dass er neben mir in seinem Zimmer ist; seine Tür war die zweite, die zugegangen ist, und seitdem stehe ich am Fenster, schaue hinaus in die Nacht und frage mich, ob ich den Mut finde, das zu tun, was mich in den vergangenen fünf Jahren Nacht für Nacht durch mein Leben begleitet hat. Als Traum und Fantasie, nicht als Wirklichkeit.
Aber könnte es etwas Schöneres geben, als eine Fantasie Realität werden zu lassen? Sollte es mir nicht leichtfallen, das zu tun? Es ist keine unbekannte Gleichung, die ich hier lösen möchte; ich weiß genau, was wann geschehen muss, damit es so wird, wie ich es mir vorstelle. Das Problem ist nur, dass in meinem Traum Falk anfängt und den ersten Schritt macht. Wie damals in unserer gemeinsamen Nacht. Ich gebe ihm Signale, er beginnt. Doch das wird er nicht mehr tun, nicht angesichts meines klaren Neins von heute Morgen.
Noch einmal schaue ich in den Spiegel, doch das ist genauso sinnlos wie vorhin. Die beiden Teelichter auf meiner Fensterbank spenden nicht genügend Helligkeit, um mein Aussehen so peinlich genau zu überprüfen, wie ich es in einer solchen Situation normalerweise tun würde. Außerdem ist es kein Ganzkörperspiegel. Ich würde mich gerne am Stück begutachten können, bevor ich mich am Stück präsentiere, denn das, wird mir von Minute zu Minute klarer, werde ich tun müssen, um ihm unmissverständlich zu demonstrieren, dass ich ihm ein Angebot mache, das er nicht ausschlagen kann.
Ich habe mich mit den wenigen Mitteln, die mir zur Verfügung stehen, gewaschen und anschließend weniger großmütterlich angezogen, als ich es sonst tue. Es zeigt bereits Wirkung; mein Bauch fühlt sich unangenehm kalt an und auch meine Zehen sind zu kleinen Eisreservoirs mutiert. Ich habe meinen Körper zu sehr an die vielen wärmenden Schichten gewöhnt. Er ist verzärtelt. Obwohl ich den Ofen in der Stube vor dem Rückzug in mein Zimmer noch einmal kräftig eingeheizt habe, zeigt meine
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