Linna singt
»Ich muss nur den Schalter finden.«
Zwei Sekunden später springt flackernd das Deckenlicht an – mehr eine Funzel als eine Lampe –, doch sie spendet genügend Helligkeit, um zu bestätigen, was ich eben dachte: Hier stimmt etwas nicht. Mit der Schnauze am Boden tapst Luna wie ein Suchhund durch den rundum mit Holz getäfelten Raum, sie riecht etwas, was nur riecht sie? Vorsichtig atme ich durch die Nase ein. Hier muss es nach etwas riechen, nach etwas Alarmierendem, aber anstatt dass mein Gehirn mich darauf hinweist, spüre ich nur die abgestandene Luft in meiner Nase. Mein Herz klopft schneller; harte, unruhige Schläge in meiner Brust und meinem Hals.
Jetzt hat Luna sich dem Putzeimer genähert, der mitten im Raum steht, der Wischer liegt daneben auf dem Boden, als hätte derjenige, der hier versucht hat, sauber zu machen, den Ort des Geschehens überstürzt verlassen. Der grauschwarze Lumpen klebt an den Holzdielen fest. Fiepend knickt Luna die Hüfte ein und will das Bein heben.
»Luna!«, ruft Falk scharf. »Here!« Sofort lässt sie vom Eimer ab und watschelt zu ihrem Herrn. Sie hechelt auffällig stark, setzt sich aber brav neben Falk und kratzt mit der Pfote über seine schneeverklumpten Schuhe, als wolle sie ihn auf etwas aufmerksam machen. Zwischen unseren Füßen beginnen sich kleine Seen aus schmutzigem Tauwasser zu bilden. Doch wir rühren uns nicht von der Stelle.
»Was ist hier passiert?« Meine Stimme klingt so belegt, als habe ich nächtelang nicht geschlafen. Auch die anderen starren misstrauisch auf das merkwürdige Chaos vor uns.
»Hm, ja, also … ich denke, dass … hier …«, druckst Tobi herum.
»Red Klartext!«, fahre ich ihn an. »Was ist passiert?« Das Licht über uns flackert heller und dann wieder dunkler, als würde jemand am Gasregler herumdrehen.
»Hier mussten alle schnell weg, weil … also, die Hütte sollte ja ein neues Seminarzentrum werden, von meinem Onkel …«
»Was für Seminare?«, unterbricht Simon Tobi.
»Coaching. Coaching in Verbindung mit Yoga und Entspannungstechniken, ihr wisst schon … Musik und so …« Tobi macht eine undefinierbare Handbewegung. Luna löst sich von Falk und beginnt von Neuem, ihre Kreise im Raum zu ziehen. »Aber dann … dann hatte er hier oben eine Gruppe hochrangiger Manager und alle sind krank geworden, irgendein Virus, sie mussten nach unten transportiert werden, mit der Bergwacht, ging alles sehr schnell …«
»Ist ja gruselig«, murmelt Maggie angewidert und zieht die Schultern hoch. »Was war das denn für ein Virus?«
»Ich glaub, irgend so ’ne Magen-Darm-Sache, keine Ahnung, hoch ansteckend eben.«
Jemand drückt mich nach vorne. Benommen stolpere ich von der Tür weg und in den Raum hinein.
»Wo sind unsere Zimmer?«, frage ich, weil mir das sinnlose Herumstehen und Gucken an die Nerven geht.
»Links«, antwortet Tobi und führt uns am grünen Kachelofen vorbei durch eine niedrige Tür in einen schmalen Flur, wo sich ein Zimmer neben das andere reiht. Ohne nachzudenken, drücke ich die Klinke des vorletzten Raums auf der rechten Seite herunter, schiebe die Tür auf und werfe einen Blick ins Innere. Es ist nur eine kleine Stube mit winzigem, quadratischem Fenster und einer Nische, in der ein altertümlich wirkendes Waschbecken angebracht wurde, aber es ist ein Zimmer, in dem man für sich sein und das man abschließen kann. Entschieden schiebe ich meinen Rucksack über die Schwelle.
»Das nehme ich«, verkünde ich in einem Ton, dem niemand widersprechen wollen wird. Falk hat bereits die Tür links von mir geöffnet, ich höre Lunas Pfoten nebenan über den Boden tapsen. Bevor ich mich zurückziehe, drehe ich mich noch einmal zu Tobi um.
»Toiletten? Dusche?«
»Also … eh … das ist ja eine Hütte …«
»Oh nein«, stöhnt Maggie und wendet sich ab. Für einen Moment sieht es aus, als wolle sie ihren Kopf an Jules’ Brust schmiegen. Doch sie stockt wenige Zentimeter vor seiner Schulter und reißt ihr Kinn wieder herum. Ich wusste es doch – sie ist ihm immer noch verfallen. »Jetzt sag nicht, dass es hier nur ein Plumpsklo gibt, bitte nicht.«
»Nein.« Tobi hebt beschwichtigend die Hände. »Es gibt ein Klo mit Wasserspülung, hier«, er zeigt auf das Ende des Flurs, »und draußen neben dem Anbau gibt es noch ein Plumpsklo, falls die Leitungen in der Hütte gefrieren.«
»Das wird ja immer besser«, spottet Jules.
Falk schiebt den Kopf aus seinem Zimmer. Er sieht zufrieden aus. »Ich kümmer mich
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