Linna singt
und es bei der Grundinformation belassen. Sie hat meiner Meinung nach Sprengkraft genug. Alles andere darf und sollte im Verborgenen bleiben. Maggies Affäre, Jules’ Gefühle für Falk und Simons Vaterschaft. Es ist nicht nötig, dass die anderen davon erfahren.
Jetzt blickt Jules Falk doch an, entschlossen und ohne mit der Wimper zu zucken. »Wegen dir«, bekennt er mit rauer Stimme. »Weil ich dich liebe, Mann.«
Simons Mund formt ein stummes O, plötzlich ist sein Mondgesicht zurückgekehrt. Er sieht sofort fünf Jahre jünger aus. Auch ich kann meinen Mund nicht mehr schließen. Wow, was für ein Geständnis. So männlich und kernig und ritterlich. Einzig Maggie lässt sich davon nicht beeindrucken.
Mit unbewegter Miene steht sie auf, geht zu Falk und verpasst ihm eine schallende Ohrfeige. Ihre Wucht ist nicht stark genug, um seinen Kopf nach hinten zu reißen, doch ihre Finger zeichnen sich sofort als weißer Abdruck auf seiner rechten Wange ab. Maggie nickt und geht zu ihrem Platz zurück, um sich in aller angemessenen Würde zu setzen, stolz und zufrieden wie eine Kriegerin nach gewonnener Schlacht.
Falk ist so baff, dass er nichts sagen kann. Vorsichtig tastet er seine Wange ab, auf der man immer noch Maggies kleine Hand sieht – und den Abdruck ihres Eherings. Noch trägt sie ihn.
»Maggie …« Simon muss sich räuspern, um den Frosch aus seiner Stimme zu vertreiben. »Streng genommen kann Falk aber nichts dafür …«
»Streng genommen ist mir das scheißegal«, fährt Maggie ihn an. »Misch dich nicht ein, sonst fängst du auch noch eine. Ich hab mich gerade in Stimmung geschlagen.«
»Und es war kein schlechter Schlag«, raunt Falk lobend. »Gar nich’ schlecht.«
»Übrigens.« Maggie verschränkt die Arme vor der Brust und dreht sich zu Jules, um ihm in aufreizender Direktheit in die Augen zu blicken. Ein wenig erinnert sie mich an die Frauen aus den Wickie-Comics. Streitlustig und den Männern haushoch überlegen, wenn sie mal in Fahrt gekommen sind, und dass Maggie gerade in Fahrt ist, wagt hier niemand mehr anzuzweifeln. »Ich hatte eine Affäre mit einem anderen Mann. Es war nicht nur ein One-Night-Stand, es war mehr. Ich habe dich betrogen. Seelisch und körperlich.«
Jules schaut eingeschüchtert an ihr vorbei und reibt seine Hände aneinander, als sei ihm kalt geworden. »Gut.« Er nickt ihr blind zu. »Sehr gut. Das ist gut.«
Bitte, Maggie, sag ihm nicht, dass es Tobi war. Du weißt noch nicht, was für ein Freak er ist und dass er das alles nur arrangiert hat, um mir nahe zu sein. Du schießt dir ein kolossales Eigentor, wenn du das tust, bitte …
»Linna! Linna!!«
Wir vergessen schlagartig, was uns in den vergangenen Minuten offenbart wurde, und blicken irritiert an die Decke.
»Linna!« Jetzt ist es kein Rufen mehr, sondern ein Heulen, und es kommt vom Dach, direkt über unseren Köpfen. Tobias ist auf dem Dach? Und ruft nach mir, verzweifelt und mit vom Heulen brüchiger Stimme? »Linna, bitte … Wenn du nicht kommst, dann … dann …«
Was dann? Springt er? Meint er das? Oh verdammt, er meint es wirklich! Der Spruch an der Hauswand zielte nicht auf einen von uns ab, Tobias meinte sich selbst damit! Er will sich heute Nacht das Leben nehmen – oder er will so tun, als ob. Letzte Notmaßnahme, wenn gar nichts mehr von dem funktioniert, was er ursprünglich plante.
»Jetzt dreht er völlig durch«, fasse ich meine Gedanken zusammen, als niemand etwas sagt. Die anderen schauen noch immer gebannt nach oben. Wie ist er nur da hochgekommen? Und was will er jetzt tun – sich in den Schnee stürzen, wenn ich seinen Bitten nicht folge? Ich habe keine Lust, bei Dunkelheit und Eiseskälte auf dem Dach herumzuklettern. Das ist doch alles nur eine riesengroße Show. Inszenieren kann er ja, das hat er uns oft genug bewiesen. Und wenn Teelichter und Lebkuchen nicht ausreichen, schreibt er eben ein Drehbuch für eine Suizidszene.
»Bitte komm, Linna, sonst spring ich! Ich springe!«
»Niemals springt der«, sagt Falk kalt. »Was für ein Idiot.«
»Das ist Tobi, oder? Wieso will er springen?«, wendet Maggie alarmiert ein. »Was ist mit ihm? Und warum will er Linna sehen?«
Ich schüttele nur knurrend den Kopf. Das kann und will ich ihr nicht erklären.
»Wenn er springt, machen wir uns der unterlassenen Hilfeleistung schuldig! Linna, unternimm etwas!«, ruft Maggie, als die Jungs nur schweigend nach oben starren. »Du hast es doch auch an die Wand geschrieben, du hast ihn
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