Linna singt
…
»Morgen«, grüßen sie murmelnd zurück, als ich mich an den Rand auf die Eckbank schiebe und mir einen Kaffee eingieße. Ich verschlucke mich beinahe daran und blinzle angestrengt die Tränen weg, die in meine Augen schießen.
»Hört mal, das mit dem Proben …« Ich muss husten, bevor ich weitersprechen kann. »Tut mir leid, dass ich euch da im Moment blockiere, aber ich will meine Stimme nicht ruinieren und ich bin nun mal ein bisschen aus dem Training.«
Ein bisschen. Was für eine Untertreibung! Von Training kann sowieso keine Rede sein, ich habe meine Stimme fünf Jahre lang brachliegen lassen. Doch jetzt sehe ich nicht mehr ein, es ihnen zu sagen. Bis zu meiner Ankunft konnte ich mir noch vorstellen, mich Maggie oder Jules anzuvertrauen, ja, auch Simon, und mit einem von ihnen in verschwiegener Zweisamkeit zu üben. Doch dieser Zug ist abgefahren. Selbst wenn ich noch singen könnte, würde ich ihnen meine Stimme nicht geben.
»Ja, aber irgendwann müssen wir proben, Linna! Wir haben nur diese fünf Tage!«, ruft Maggie, offensichtlich froh, dass ich das Thema von selbst anspreche.
Simon zuckt zusammen und legt sich die Fingerkuppen an die Schläfe, wie Maggie vorgestern bei ihrer Migräne. Seine Lider sind gerötet und geschwollen, er sieht elend aus. Nun werfe ich auch Jules einen kurzen Blick zu, doch der hat sich in seinen Kaffee vertieft. Tobi hockt abwesend neben ihm; er wirkt auf mich, als würden ihm gleich die Augen zufallen, aber er hat seinen Schrecken von vorhin verdaut. Falk langt wie immer mit gesegnetem Appetit zu. Ich vermeide es, auf seine schönen, großen Hände zu schauen, überhaupt ist das Schauen schwierig, die Gesichter der anderen scheinen zu flimmern und zu wackeln, wenn ich meinen Kopf bewege. Ich bin immer noch nicht richtig bei mir.
Tapfer beiße ich von meinem Honigbrot ab, obwohl ich keinen Hunger habe, und sehe dabei zu, wie Maggie Simon sorgenvoll mustert und sich dann mir zuwendet. Und, bist du enttäuscht, Maggie? Weil ich euch nicht die Show liefere, die ihr erhofft habt? Simon hustet trocken auf und sofort schnellen Maggies Augen wieder zu ihrem Bruder.
»Alles okay? Geht’s?« Simon antwortet nicht und schiebt stattdessen nur seinen Teller von sich weg. »Soll ich dir einen Tee machen?«, bohrt Maggie weiter. »Ich hab dir gesagt, du sollst nicht so viel trinken …«
»Viel?« Falk lacht brummig auf. »Der hatte doch am wenigsten von uns allen.«
»Jetzt lasst mich mal in Ruhe. Ist doch scheißegal, wer wie viel getrunken hat, oder?«, blafft Simon ihn an. »Und hör endlich auf, mich zu bemuttern, Maggie, ich bin kein kleines Kind mehr!«
Ich versuche, mir das vorzustellen, ich kann gar nicht anders: Jules haut mir ins Gesicht und danach setzen sie sich zusammen in die Stube und hecken aus, mir meine Sachen wegzunehmen, finden diese Idee so klasse und witzig, dass sie sich besaufen, und dann geht einer von ihnen in mein Zimmer und tut es? Zerwühlt dabei noch mein Bett und verteilt meine Klamotten auf dem Boden? Und nun wollen sie, dass ich mit ihnen probe? Das fühlt sich beinahe absurd an und ist Meilen von dem entfernt, was unseren Bandzusammenhalt damals ausmachte.
Maggie kneift beleidigt die Lippen zusammen und widmet sich ihrem Marmeladenbrot. Auch die anderen stopfen stumm ihr Frühstück in sich hinein oder nippen an ihrem Kaffee. Je länger sich das Schweigen ausdehnt, desto schwerer fällt es mir, ruhig zu bleiben oder gar zu denken.
Some like the city, some the noise, some make chaos and others toys, but if I was to have the choice, I’d rather he on horseback …
»Noch mal wegen der Proben …«, kehrt Maggie in deutlich friedlicherem Ton zum Ausgangsthema zurück. »Wir sitzen hier jetzt schon den dritten Tag herum, ohne etwas zu tun, machen nur irgendwelche blödsinnigen Spiele, dabei haben wir alle den Rest des Jahres einen vollen Terminkalender.« Ich nicht, aber ich gehöre sowieso nicht dazu. »Wir müssen die Zeit nutzen. Oder wollt ihr, dass wir uns bei dem Auftritt blamieren, wir, die ehemals beste Band der Stadt? Linna, das willst du doch auch nicht.«
Jules gähnt in seinen Kaffee hinein. Er tut stur so, als sei er gar nicht da, aber Maggie hat Terrierqualitäten. Sie wird jetzt nicht lockerlassen, ich kenne das von früher. In der Musik kriegt sie, was sie will. Doch dieses Mal wird es anders sein.
»Ich will einen guten Auftritt hinlegen«, predigt sie weiter, als ich sie ignoriere. »Und der Gesang ist nun mal das
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