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Linna singt

Linna singt

Titel: Linna singt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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ich stünde bereits auf der Bühne, und dann kam der Rest von ganz allein. Im Keller von Jules hat auch niemand von mir gefordert, meine Augen zu öffnen.
    Ich bleibe am Tisch sitzen, während die Jungs einer nach dem anderen gähnend und unter einer breiten Palette männlicher Räuspergeräusche aufstehen und in ihre Zimmer verschwinden; auf einmal sind sie stumm wie Ölgötzen.
    Hoffentlich habe ich sie davon überzeugt, dass sie mich mit ihrer »Strafe« nicht getroffen haben. Meine Anspannung hat sich kaum gemindert, doch sobald ich in meinem Zimmer bin, fühle ich mich sicherer. Erschöpft lasse ich mich auf mein Bett fallen und streife mit den Füßen die Boots von meinen kalten Zehen. Als ich meinen Ellenbogen auf das Kopfkissen stütze, knistert es leise. Verwundert schiebe ich es zur Seite und schaue verständnislos auf meinen Kamm, das Bild, den MP3-Player und den Skizzenblock. Sie sind wieder da. Oder waren sie die ganze Zeit hier? Habe ich sie selbst daruntergelegt, heute Nacht, während meines Blackouts? Und war ich es auch, die meine Klamotten durchwühlt hat?
    Minutenlang starre ich auf meine Sachen und versuche, mich zu erinnern, doch ich komme nicht dran. Diese Stunden sind für immer verloren, als wären sie nie geschehen. Trotzdem wehrt sich mein Bauchgefühl gegen den Gedanken, dass ich selbst dieses Chaos angerichtet habe. Jemand war in meinem Zimmer, während ich oben lag und völlig hilflos war. Entweder alle zusammen oder einer von ihnen. Ich glaube nicht, dass ich es war.
    Ich schaffe es nicht, aufzustehen und die Tür abzuschließen, so schwer lastet die Müdigkeit auf mir, und der Kaffee macht mich nicht wach, sondern träge und nervös zugleich. Mikes Melodien haben sich verflüchtigt, stattdessen tanzen kurze Songfetzen aus all den Liedern, die wir bisher gespielt haben, durch meinen Kopf, als würden sie mich fragen, warum ich nicht oben bei den anderen bin.
    Einmal mehr wundere ich mich darüber, wie kompromisslos Maggie ist, wenn es ihr um die Musik geht. Sie ist völlig versessen auf diese Proberei. Ich könnte mit niemandem zusammen Musik machen, dem ich dermaßen vor die Tür geschissen hätte, wie die anderen es bei mir getan haben. Das kann doch gar nicht gut gehen, das würde man der Musik anhören. Wenn Maggie etwas so sehr von mir will – meine Stimme nämlich –, müsste sie mir im Grunde ununterbrochen Puderzucker in den Hintern blasen.
    Als die Basedrum des Schlagzeugs durch die Decke wummert, rolle ich mich unwillkürlich auf den Bauch und drücke mir die Zipfel meines Kissens gegen die Ohren. Schon an den ersten Takten habe ich den Song erkannt, Lost von Coldplay. Ihn habe ich gar nicht auf der Liste entdeckt, aber ich wollte ihn immer mal singen. Maggie muss das wissen, woher weiß sie es? Kennt sie mich so gut?
    Just because I’m losing doesn’t mean I’m lost …
    Ich vergrabe mich noch tiefer ins Kissen und ziehe die Bettdecke über meinen Kopf, bis ich Schwierigkeiten habe zu atmen, fast wie heute früh in der Lawine, nur wärmer, obwohl ich auch jetzt friere. Es ist dieses Frieren, das niemals fortgehen wird, sondern immer da ist, als transportierten meine Adern Flüssigeis statt Blut.
    Jetzt gibt es nichts mehr, womit ich mich noch wärmen könnte, denn die einzige Erinnerung, die mich das Frieren für eine Weile vergessen lassen konnte, ist vergangen wie die Hitze eines langen Sommers in der ersten kalten Herbstnacht. Sie wird nicht wiederkehren. Wenn eine Erinnerung einmal zerstört ist, lässt sie sich nie mehr reparieren. Um das zu versuchen, müsste ich schon verrückt sein, und das bin ich leider nicht. Ich kann mir die Wirklichkeit nicht zurechtträumen. Dafür kenne ich sie zu gut.
    Plötzlich verstummt das Schlagzeug, Jules hat sich verspielt, sie brechen ab, eine befreiende Stille, und als habe der Schlaf diese Chance erkannt, überfällt er mich so mächtig, dass ich nur noch einen letzten Gedanken fassen kann – ich habe meine Tür nicht abgeschlossen … Ich muss die Tür abschließen …
    Sobald ich verschwitzt und mit brummendem Schädel erwache, fast erstickt unter der schweren Decke und meinem Kissen und ohne jedes Zeitgefühl, ist dieser Gedanke mein erster. Die Tür! Ich wollte die Tür abschließen. Im Dunkeln – die Sonne muss bereits untergegangen sein – springe ich aus dem Bett und taste mit den Fingern über die Klinke. Kein Schlüssel. Der Schlüssel ist weg … War da überhaupt ein Schlüssel? Habe ich mir das nur

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