Linna singt
Falk nie daran gedacht. Weil ich überzeugt davon war, dass auch er nicht daran dachte. Selbst jetzt kann ich ihn mir nicht in einer Beziehung vorstellen. Beziehungen machen einen zum Sklaven und Falk wollte nie ein Sklave sein. Das weiß ich, ohne ihn zu kennen, und es ist eine der wenigen Überzeugungen in mir, die felsenfest sind. Genau deshalb mochte ich ihn ja so sehr. Aber jetzt habe ich die andere Seite der Medaille gesehen. Frauen als Schwäche. Wie Bier oder Zigaretten, eine Schwäche, mehr nicht.
»Ich war bis vor Kurzem mit der Svenja Pfeiffer zusammen, kennst du die?«
Erstaunt schüttele ich den Kopf, überrumpelt von seiner plötzlichen Offenheit. Nein, kenne ich nicht. Nie gehört. Ich kenne generell nicht viele Frauen.
»Wegen ihr bin ich wieder hier.« Wieder hier? Nein, ich will nicht wissen, was es bedeutet … Rede nicht weiter, Falk, frag mich wieder was. »Ich hab sie echt lieb gehabt, aber sie hat’s mir nicht glauben können. Hat wohl nicht sein sollen.«
Lieb gehabt? Sind wir hier im Kindergarten? Lieb gehabt, das sagt man doch nicht über eine Frau, mit der man eine Beziehung hatte und wegen der man … Mein Hirn verweigert mir die Konsequenz dieses Gedankens. Nein, »lieb gehabt« ist etwas für Teenager. Es ist unreif. In unserem Alter liebt man. Doch irgendwie rühren mich seine Worte auch.
»Kenne ich. Ich glaube es auch nie, wenn man es mir sagt«, erwidere ich bitter.
»Wenn man dir was sagt?«
»Dass man mich lieb hat. Oder, noch besser, dass ich lieb bin, das ist der Oberknaller, oder süß …« Sie tun das, um ihr Ziel zu erreichen, das ist es, mehr nicht. Ich wäre eine Idiotin, wenn ich es ihnen glauben würde.
»Aber du bist lieb.« Ich spüre, wie meine Augen groß werden, und das passiert selten. Falk, deine Taktik ist zu offensichtlich, du willst mich einwickeln und zu Tode flirten. Daran wirst du scheitern. »Manchmal«, setzt er hinterher, als er meinen entgeisterten Blick bemerkt.
»Lieb«, wiederhole ich spöttisch.
»Du bist hilfsbereit. Linna, jetzt guck nicht so, das bist du! Du hilfst anderen, bevor sie dich darum bitten, du packst mit an und bist dabei tough wie ein Kerl, das finde ich gut, ehrlich. Und süß kannst du auch sein.«
»Du irrst dich.« Mein Tonfall ist hart und abweisend, doch zugleich überschwemmt eine warme, schmeichelnde Welle meinen Bauch, mit einem Mal ist mir heiß. Das ewige, hochpotente Gift der Komplimente, noch immer nicht bin ich immun dagegen, es ist zum Aus-der-Haut-Fahren. »Wann, bitte, bin ich süß?«
»Du bist es«, beharrt Falk, guckt mich aber nicht dabei an, sondern lässt seine Augen auf der schlafenden Luna ruhen. Wieder so ein Bild, das wehtut und das ich nicht vergessen werde. »Du warst es damals schon.«
Ich stehe auf und lasse ihn auf dem Bett sitzen, verschwinde ohne einen Gruß aus seinem Zimmer. Ich kann mir das nicht länger anhören, das ist zu kafkaesk, die ganze Situation ist es. Er vergisst unsere Nacht, aber er findet mich süß, das ist doch paradox. Tobi würde ich solche Worte vielleicht noch glauben, aber nicht Falk. Er muss mich verwechseln. Er kann nicht mich meinen. Vielleicht benutzt er süß auch falsch. Vielleicht findet er es süß, wenn er eine Frau entblättert und sie statt der erwarteten Spitzendessous Oma-Unterhosen trägt. Süß im Sinne von unerotisch, harmlos, zum Lachen.
Als ich mich auf mein Bett setze, aufgewühlt und zittrig, fällt mein Blick sofort auf den Torero und den Stier, doch dieses Mal beruhigt mich die Fotografie nicht. Ich muss daran denken, wie Falk sie vorhin angestarrt hat. Nicht voller Ekel wie Maggie, sondern mit einer gebannten, beunruhigenden Intensität. Er hat nicht gefragt, warum ich sie bei mir habe, aber er konnte etwas damit anfangen, es haben sich konkrete Gedanken in seinem Kopf dazu gebildet. Es hat ihn an etwas erinnert. Dieses Bild hat einen Bezug zu seinem Leben. Aber welchen? Ist er der Stier oder der Torero?
Das kann so nicht weitergehen. Ich muss mit jemandem über unsere Situation sprechen, offen und ehrlich, es geht nicht anders. Meine Fragen potenzieren sich ins Unendliche, wenn ich das nicht tue. Ich muss erfahren, was die anderen über mich denken. Ja, ich hätte Falk danach fragen können, aber ich weiß nicht, ob ich ihm trauen kann. Maggie ist sowieso tabu, denn sie traut mir nicht. Und damit fällt auch Simon raus. Bleibt nur noch Jules. Der mich gestern geschlagen hat. Mich als Schlampe beschimpfte. Sich nicht ansatzweise dafür
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