Linna singt
Und ich habe nicht vor, das zu ändern.«
»Du hast nie einen Freund gehabt? Echt nicht?« Sie hat mir das auch nie geglaubt. Sie dachte, ich halte mir immer mehrere gleichzeitig warm, um zuschlagen zu können, wann ich will, wie eine Königin, die Hofnarren um sich schart und einen nach dem anderen vortanzen lässt. »Maggie sagte doch …«
»Das war in der fünften Klasse und er war mein Kumpel. Meinst du, ich hab mit elf schon rumgemacht?«
»Nein. Aber du hast rumgemacht …«
»Ja, hab ich, na und? Du weißt doch selbst, wie das ist, auf Klassenfahrten und so, spätestens in der dritten Nacht fängt es an, dass man sich irgendwelche Spielchen ausdenkt, um sich näherzukommen.«
»Erster Zungenkuss? Wann war der?«
Warum fragt er solche Sachen? Das ist nicht Falk. Falk schweigt lieber und wartet, dass man von selbst anfängt zu reden. Ich habe das Gefühl, er überprüft Informationen von Maggie, die sie gestern Abend ausgeplaudert hat, als die anderen zusammensaßen und ihre Bierchen tranken. Maggie war nämlich dabei, als ich meinen ersten Zungenkuss wagte, und sie ist es auch, die weiß, dass ich beim Küssen einer der Pioniere in unserem Jahrgang war.
»Mit dreizehn. Auf einer Musikfreizeit. Zumindest dachten die anderen, ich hätte einen Zungenkuss gehabt. Was ich selbst weiß und denke, zählt ja nicht.«
»Tut es schon. Aber wie können die anderen glauben, du hast einen gehabt, und du hattest doch keinen?«
Ich balle erneut meine Fäuste, bis sie wehtun, um nicht ausfällig zu werden. Falk waren ein paar Dinge nicht klar, okay, in Ordnung, aber das hier ist schon mehr eine Anhörung vor Gericht als eine lockere Plauderstunde, obwohl er die Ruhe selbst ist und sogar wieder die Gitarre in die Hand genommen hat, um darauf herumzuspielen. Wollen die anderen durch ihn etwas über mich herausfinden und denken, dass mein Mundwerk bei ihm besonders lose sitzt? Selbst wenn – das heißt noch lange nicht, dass sie diese Informationen auch glauben.
»Flaschendrehen«, erkläre ich knapp, um dann doch auszuholen, weil Falk weise grinst, aber nichts dazu sagt. »Ich sollte Joschi küssen, übrigens der Cousin von Maggie und Simon, auch ein Cellist. Er war süß, braune Augen, Sommersprossen auf der Nase, wuscheliges Haar, du weißt schon … Er war in mich verknallt, ich in ihn, aber wir wollten beide noch keinen Zungenkuss. Also haben wir uns erbeten, es hinter einem Vorhang zu tun, und die anderen haben uns das erlaubt. Dort haben wir uns geküsst. Ohne Zunge. Ich hab nur ganz kurz seine Zungenspitze gespürt …«
Ich breche ab. Das muss Falk nicht wissen. Es war ein verschworener Moment, unser Kuss hinter dem Vorhang, ich war berauscht vor Glück, weil dieses hübsche Kerlchen sich für mich interessierte. Ich hatte damit nicht gerechnet, ich sah doch aus wie ein Junge und das war auch der Grund, weshalb ich mit elf schon einen »Freund« hatte. Ich war für ihn ein Junge mit Mädchenname, ein Kumpel, weil ich mich so benahm und auch so aussah. Das ist pure Ironie des Schicksals: dass ich lange Jahre aussah wie ein Junge und von meiner Mutter in die hässlichsten Klamotten gepackt wurde, die sie finden konnte, und trotzdem hatte ich diesen Ruf weg. Bei den Mädchen, nicht bei den Jungs. Mit denen hatte ich nie Probleme. Wir spielten zusammen Fußball, rauften uns, erzählten uns derbe Witze. Ich war für jeden Mist zu haben. Die Mädchen waren es, die es in den Schmutz zogen und mir Dinge andichteten, die ich nie getan habe. Aber in diesem Augenblick hinter dem Vorhang mit Joschi, als sich unsere Zungen berührten und sofort wieder trennten, als wäre es Zufall gewesen, war ich ein hundertprozentiges Mädchen.
Genauso wie auf der Chorfreizeit, als Luca mich eines Nachts plötzlich zur Seite gezogen und abgeknutscht hat, weil neben ihm ein Pärchen schmuste und er es auch wollte, so einfach war das, und für mich war es das auch, weil ich ihn mochte und gerne in seine Augen sah. Weil Luca niemand war, vor dem man Angst haben musste. Wir haben zehn Minuten lang geschmust und uns geküsst, bis unsere Lippen geschwollen waren und jeder einen Knutschfleck am Hals hatte, und am nächsten Morgen wurde kein Wort darüber verloren.
»Wolltest du keinen Freund haben oder …?«
»Ich wollte nicht.«
Eigentlich sollte ich sagen, dass ich es immer noch nicht möchte. Aber es kommt mir plötzlich wie gelogen vor, dabei weiß ich ganz genau, dass ich es keine Woche lang aushalten würde. Ich habe selbst bei
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