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Linna singt

Linna singt

Titel: Linna singt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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entschuldigt hat, trotz seiner Lobhudelei beim Frühstück. Er hat es nicht verdient, dass ich seine Nähe suche. Ich weiß das. Und doch treibt es mich zu ihm, als wäre da ein Magnet, der uns aneinanderkoppelt, ob wir wollen oder nicht. Außerdem ist er der Einzige, von dem ich mir vorstellen kann, dass er mich trotz des Band-Aus in seine Gedanken blicken lässt – vielleicht seit gestern noch eher als vorher. Er hat schließlich etwas bei mir gutzumachen.
    Aber erst muss ich darauf warten, dass alle anderen ins Bett gegangen sind und schlafen. In meinem Wahn habe ich vorhin nicht die Geistesgegenwart gehabt, auf die Uhr zu schauen. Jetzt stelle ich fest, dass ich länger in meinem Schlummer gefangen war, als ich geahnt habe, es ist bereits nach neun Uhr. Ich habe fast den ganzen Tag verschlafen. Doch genützt hat es nicht viel, ich bin immer noch müde und muss darauf vertrauen, dass der Hunger mich wach hält. Es wird schnell ruhig in der Hütte; schon um zehn Uhr klappt im Flur die letzte Tür.
    Ich gedulde mich noch eine Weile, um sicherzugehen, dass ich mich nicht täusche, denn begegnen möchte ich niemandem, wenn ich durch den Korridor schleiche. Aber als ich meinen Kopf durch den Spalt meiner Tür schiebe, um zu prüfen, ob die Luft rein ist, empfängt mich kalte Dunkelheit. Sie sind schlafen gegangen. Ich weiß nicht, was sie in den vergangenen Stunden getan, geredet und geplant haben. So viel Zeit … Es ist gar nicht möglich, dass sie nicht über mich gesprochen haben. Man redet immer über den, der nicht dabei ist. Schlafen sie tatsächlich schon? Wieder einmal fühle ich mich beobachtet und belauscht, als ich leise wie immer zur Stube husche und meinen Rücken gegen die warme Wand des Kachelofens presse, bis die Kälte sich aus meinen Muskeln zurückzieht. Dann lege ich etwas Holz nach, streife meine Jacke über und verlasse die Hütte, um hinüber zum Anbau zu gehen. Ich muss nach meinem Huhn sehen. Vielleicht braucht es etwas.
    Auf halber Strecke bleibe ich stehen und horche in die Nacht hinein. Der Wind hat sich gelegt, aber wieder sind weder Sterne noch Mond zu sehen. Die Wolken lasten schwer und dunkel über mir und schicken bereits einzelne Flocken durch die Luft. Macht sich im Dorf keiner Sorgen um uns? Oder sind die Bewohner zu sehr mit den Folgen des Schneesturms beschäftigt? Andererseits: Warum sollten sie sich Sorgen machen? Die Lawine hat sich aufgelöst, bevor sie das Tal erreichen konnte; vermutlich war sie gar nicht so groß und mächtig, wie sie mir vorkam, eher ein kleines Schneebrett als eine Lawine, wie man sie aus Film und Fernsehen kennt. Luna hat nur wenige Minuten gebraucht, um mich freizubuddeln. Trotzdem sollte ich nach einer Funkstation suchen. Mein Handy habe ich bereits in meine hintere Hosentasche gesteckt; so gerne ich mich auch davor drücken möchte: Nachdem ich Linna versorgt habe, muss ich es anschalten, um zu prüfen, wie viel Saft der Akku noch hat. Ich habe es vor unserer Abfahrt aus Neulußheim nicht mehr aufgeladen; pure Absicht, weil ich eine Möglichkeit haben wollte, mit Fug und Recht nicht erreichbar zu sein. Ich konnte ja nicht ahnen, dass wir im Schnee ersticken würden und es von Tag zu Tag schwieriger werden würde, die Hütte zu verlassen.
    »Hallo, Süße«, begrüße ich Linna sorgenvoll, als ich die Tür zum Anbau geöffnet habe und den Kopf hindurchstrecke. Sie sieht nicht gut aus. Aufgeplustert und mit trübem Blick hockt sie zwischen den Tannenzweigen und hackt sich ab und zu mit dem Schnabel auf den Bauch. Offenbar ist sie in nicht minder desolatem Zustand als ihre Namensvetterin. Von den eingeweichten Brotwürfeln hat sie ein paar Krümel aufgepickt, doch ich fürchte, dass die allein nicht reichen werden, um sie aufzupäppeln. Ich knie mich nieder und fahre ihr sanft mit den Fingern über den zerzausten, verbissenen Rücken. »Durchhalten, okay? Es wird alles besser«, flüstere ich und ihrer Kehle entweicht ein klagendes Gurren. Sie glaubt mir nicht. Kein Wunder, ich glaube mir selbst nicht.
    Weil ich nicht mehr für sie tun kann, stehe ich wieder auf und sehe mich in aller Ausführlichkeit und Ruhe um. Auch hier lagern Essensvorräte. Verhungern werden wir nicht; es gibt noch genügend Pumpernickel und Knäckebrot und etliche Konserven und Fertiggerichte in Tüten; dazu Milch, Saft und zwei undefinierbare Schnapsflaschen, wahrscheinlich etwas Selbstgebranntes aus dem Dorf und in der Wirkung ähnlich vernichtend wie der Rum von gestern. In

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