Lippels Traum (German Edition)
letzte Zeichenblock ausgeteilt war. Deshalb musste er jetzt erst Zeitung und Kaugummi verstauen, bevor er sich der Frage widmen konnte, weshalb das Austeilen der Blöcke so plötzlich stockte.
Lippel bekam von alledem nichts mit. Er kam gar nicht auf die Idee, dass er der Grund dieser plötzlichen Stockung sein könnte. Er wunderte sich nur, dass offensichtlich jemand das gleiche Bild hinten auf den Zeichenblock geklebt hatte wie er: einen Tiger, der gerade ein Feuerwehrauto anfällt.
Erst als Herr Göltenpott mit vorwurfsvoller Stimme sagte: »Philipp Mattenheim, träumst du schon wieder? Willst du deinen Block nicht in Empfang nehmen? Wartest du, dass man ihn dir bringt?!«, schreckte Lippel hoch, rannte nach vorne und holte auch seinen Zeichenblock ab.
So hörte Lippel schließlich auf drei Vornamen:
Für seine Eltern, seine wenigen Freunde und seinen Onkel Achim hieß er Lippel.
Die meisten aus seiner Klasse riefen ihn Philipp.
Und für einige wenige, die selbst in der vierten Klasse noch nicht begriffen hatten, dass man »Ph« wie »F« ausspricht, war er immer noch der Pilipp.
Da er für sich selbst aber stets der Lippel blieb, soll er hier auch so genannt werden.
Das Leseversteck
Es gab drei Dinge, die Lippel ganz besonders gern mochte: Er liebte Sammelbilder, eingemachtes Obst und Bücher.
Eigentlich mochte er noch vieles andere ganz besonders gern. Aber das hing alles mit diesen drei Dingen zusammen, deshalb kann man die Sammelbilder, das eingemachte Obst und die Bücher schon besonders hervorheben.
Weil er Sammelbilder liebte, liebte er zum Beispiel Milch, Jogurt, süße und saure Sahne und Einkaufengehen.
Das muss man vielleicht etwas genauer erklären.
Es fing damit an, dass Lippel oben auf dem Dachboden drei alte Bücher fand, die »Wunder der Tiefsee«, »Bei den Trappern« und »Im Morgenlande« hießen.
In die Bücher waren große, farbige Bilder eingeklebt und unter jedem stand eine kurze Erklärung. Manchmal fehlte ein Bild. Dann war da nur ein weißes Rechteck zu sehen, unter dem etwa stand: »Scheich Achmed nimmt fürchterliche Rache an den Assassinen.« Und Lippel musste sich selbst ausmalen, worin die Rache wohl bestand. Er kam zu dem Entschluss, dass der Scheich die Assassinen gezwungen hatte Tomatensuppe zu essen. Das war die schrecklichste Strafe, die sich Lippel vorstellen konnte.
Sein Vater erklärte ihm, dies seien Sammelbilder in einem Sammelalbum. Man hätte die Bilder früher bekommen, wenn man eine bestimmte Schokoladensorte gekauft habe.
Und kurz darauf entdeckte Lippel, dass es solche Sammelbilder immer noch geben musste: Auf den Milchpackungen waren Sammelpunkte aufgedruckt, sie hießen »Penny«. Und daneben stand: »Für 100 Penny gibt‘s spannende Farbbilder.«
Das Wort »spannende« verhieß allerhand. Seitdem sammelte Lippel eifrig Penny-Punkte. Er hatte schon fast achtzig. (Dreiundsiebzig, genau gesagt.)
Die Sammelpunkte gab es nicht nur auf Milchpackungen, sondern auch auf Jogurtbechern und bei süßer und saurer Sahne. Seitdem ging Lippel ausgesprochen gern einkaufen. Selbst bei dem hinterhältigen Wetter, das gerade herrschte. So konnte er am besten darauf achten, dass beim Einkauf nie die Milch oder die saure Sahne vergessen wurde.
Die zweite Vorliebe von Lippel war eingemachtes Obst. Dies brachte mit sich, dass er Frau Jeschke mochte.
Frau Jeschke war eine ältere, dicke Frau mit dicken Brillengläsern. Sie war Witwe und wohnte zwei Häuser weiter, auf der anderen Straßenseite.
Lippel lernte sie kennen, als der Briefträger einmal aus Versehen einen Brief in Mattenheims Briefkasten gesteckt hatte, der eigentlich an Frau Annemarie Jeschke gerichtet war. Lippel brachte ihr den Brief.
Da die Tür offen stand, ging er einfach ins Haus. Frau Jeschke saß beim Mittagessen, soeben war sie beim Nachtisch angelangt: eingemachte Sauerkirschen mit einem Klecks Sahne.
Sie kamen miteinander ins Gespräch, weil Lippel fragte, ob er vielleicht den Sammelpunkt von der Sahnepackung ausschneiden dürfte.
Frau Jeschke lud ihn zu einem Schüsselchen Nachtisch ein und er lobte die Kirschen so begeistert, dass sie ganz erstaunt fragte: »Schmecken meine Kirschen denn so viel besser als eure?«
»Wir haben gar keine«, sagte Lippel.
»So was! Kocht denn deine Mutter keine Kirschen ein?«, fragte Frau Jeschke weiter.
»Nein, nie«, sagte Lippel und spuckte einen Kern aus.
»Sie weiß wahrscheinlich gar nicht, wie man das macht.«
Und weil er merkte, dass Frau
Weitere Kostenlose Bücher