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Lippenstift statt Treppenlift

Lippenstift statt Treppenlift

Titel: Lippenstift statt Treppenlift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Urban
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auch gesund, sagt Sophie – und haben viel Eisen!«
    Mama nickte inbrünstig: »Eisig kalt! Und ganz taub in den Zehen. Das ist immer noch so. Nach kurzer Zeit verlässt mich außerdem immer die Kraft im Bein. Aber zum Orthopäden gehe ich nicht mehr. Ich habe das Gefühl, nach jedem Arztbesuch geht es mir noch schlechter!«
    »An sich wäre die richtige Ansprache Durchlaucht «, antwortete Ömi. »Aber ich sage Sophie zu ihr, wir kennen uns ja schon seit der Schule. Da kam sie manchmal mit der Kutsche vorgefahren, sie haben ja Stallungen. Das ist das schönste Anwesen weit und breit, sagt Karl-Theodor immer. Ich habe dir doch von Karl-Theodor erzählt, dem die Fabriken in Ungarn gehören, oder nicht?«
    »Und ob: Ich habe wirklich immer besonderes Pech mit den Ärzten gehabt!«, nickte Mama. »Sogar mit denen aus der Familie. Mein Onkel Hans, der Chirurg, hat mich ja als Kind fast zu spät am Blinddarm operiert. Bei meiner Schwester Constanze wäre ihm das nie passiert, die war sein Liebling! Sie hat sogar ein Zwei-Zimmer-Appartement von ihm geerbt, er und die Tante hatten ja keine leiblichen Kinder. Die hatten immer nur zwei hässliche kleine Dackel.«
    »Nein, nein, der Theodor hat keinen Dünkel«, erwiderte Ömi. »Ein ganz schlichter, naturverbundener Mensch ist das. Hat auch keinen Bodyguard. Dabei wollten sie ihn schon mal entführen. Unglaublich, oder?«
    »Ja, nicht wahr? Unglaublich! Ich bin einfach leer ausgegangen!«, sagte meine Mutter, und mein Mann lief in die Küche, wo wir ihn losprusten hörten.
    »Wie schön, mit dir zu sprechen!«, sagte Ömi zur Oma und strahlte.
    »Ja, ganz wunderbar!«, sagte Oma, ebenfalls glücklich, dass ihr mal jemand so aufmerksam zuhörte. Es war ein wirklich gelungenes Fest!
    Es ist nicht so, dass Oma und Ömi immer aneinander vorbeireden, sie können auch anders. Allerdings nur am Telefon. Zum einen, weil sie wesentlich besser hören, wenn sie sich den Telefonhörer fest ans Ohr pressen. Und zweitens, weil wir dann nicht dabei sind und sie mal richtig Tacheles reden können. Extrem konspirative Gespräche werden dann geführt, sehr geheim. Danach erzählt Mama mir immer alles brühwarm.
    »Die Elsbeth (so lautet Ömis Vorname) ist genervt, weil ihr ihr immer vorschreiben wollt, wie viel sie essen soll«, berichtet sie beispielsweise. Ömi Elsbeth hat nämlich im letzten Jahr rund fünfzehn Kilo abgenommen, deswegen kontrolliert mein Mann ein wenig, wie viel (oder wenig) sie zu sich nimmt.
    »Sie sagt immer, sie hatte einen ganzen Teller Nudeln zu Mittag, aber in Wahrheit hat sie das Mittagessen einfach ausfallen lassen«, verrät Mama. »Und die neuen Eisentabletten nimmt sie auch nicht.«
    »Warum denn nicht?«, wundere ich mich.
    »Elsbeth sagt, so viele Tabletten müssen nicht sein. Und ich kann sie ja so gut verstehen!«
    Oma kann immer alles nachvollziehen, was Ömi tut oder lässt – ganz egal, was das ist.
    Insgeheim wundere ich mich immer ein wenig, dass die beiden Großmütter sich so mögen, denn sie sind sich gar nicht ähnlich. Ömi zum Beispiel würde niemals dem Club Jünger-Aussehen beitreten. Sie verschwendet nicht die geringste Energie in Maßnahmen, die sie jünger als 85 wirken lassen – so alt, wie sie tatsächlich ist. Sie benutzt keinen Lippenstift und färbt nicht mal ihr Haar. Sie trägt flache, bequeme Schuhe und kleidet sich keineswegs wie eine Dreißig- oder Vierzigjährige, sondern eher konservativ in Hosen aus Wolle, Hemdenblusen und Strick-Cardigans. Sie hat auch so genug Verehrer. Jedenfalls behauptet sie das immer.
    Die beiden Damen unterscheiden sich nicht nur in puncto Aussehen, sondern auch von ihrer Lebenseinstellung her: Ömi jammert nie, und zwar grundsätzlich nicht. Leute, die sich über irgendetwas beklagen, sind ihr ein Graus. Der einzige Mensch, dem Ömi Leidensgeschichten nachsieht, ist meine Mutter: »Die Ärmste«, sagt Ömi über sie. »Sie leidet so!« Und es klingt immer ein wenig erstaunt, als könnte Ömi so etwas gar nicht fassen.
    Wenn man Ömi fragt, ob sie Schmerzen hat, dann sagt sie grundsätzlich nur: »Man hält es aus.« Das klingt, als wäre Ömi absolut unkompliziert. Menschen, die nie jammern, sind für ihre Mitmenschen allerdings mindestens so schwer zu ertragen wie solche, die andauernd jammern, das kann ich versichern. Sie macht uns damit manchmal wirklich rasend!
    Zum Beispiel Ömi nach einer komplizierten Zahn- OP :
    »War’s schlimm, Elsbeth, hattest du Schmerzen?«, frage ich

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