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Lipstick

Lipstick

Titel: Lipstick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Fuelscher
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trinken gegangen und dann ab ins Bett. Decke über beide Ohren ziehen, am nächsten Morgen aufwachen und so tun, als hätte ich niemals detonierende Bombe in einer erlauchten Gesellschaft gespielt.
    Mir war völlig klar, daß dieser Jan noch nie eine Frau so angesehen hatte wie mich vor ein paar Sekunden. Intuition oder Selbstüberschätzung – was spielte es für eine Rolle! Laß dich nicht einwikkeln, sagte mir eine andere Stimme, die mehr vom Verstand gesteuert war, du mußt diesen Abend nur überstehen, und zwar möglichst unbeschadet.
    Glücklicherweise zeigte sich das Schicksal gnädig und verfrachtete mich ans andere Ende der Tafel, nicht ohne jedoch noch ein winziges Hintertürchen offenzulassen: Jan saß auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches fast links außen, so daß wir, wenn wir gewollt hätten, einen zwar distanzierten, aber durchaus eindeutigen Blickkontakt hätten aufnehmen können.
    Vorerst wollte ich gar nichts, außer mich darauf zu konzentrieren, daß ich ja zum Essen eingeladen war. Was in diesem Fall hieß, daß ich eine ordenliche Menge selbstgemachter Antipasti plus einiger Flußkrebsschwänze, die schon im Ofen auf ihren Einsatz warteten, zu essen gedachte. Und das, obwohl mein Magen rebellierte. Ich bemühte mich, stur geradeaus zu gucken, wo mich ein langweilig aussehender BWLer, sonnenstudiobraun und milchbubismart, erwartete, links daneben ein nicht sehr spaßig dreinschauender Micha. Vermutlich wieder mal eine Ehekrise – Greta saß links von Jan, ihr gegenüber die dunkle Schöne, die ich jedoch nur sehen konnte, indem ich mich vorbeugte und meinen Kopf extrem verdrehte, was ich lieber bleiben ließ. Links von mir palaverte Annette, oscarverdächtige Möchtegernschaupielerin – ich hatte sie noch nie ausstehen können.
    Verzweifelt kramte ich in meinem Kopf nach Themen, die ich Micha oder Annette oder dem BWLer hätte anbieten können, aber in welcher Datei ich auch nachschaute, es herrschte nur Ödnis. Zum Glück hatte ich wenigstens eine Gabel in der Hand, mit der ich Zucchinis aufspießen durfte, um sie Sekunden später wieder dezentam Tellerrand zu entsorgen, ich hatte ein Weinglas, an dem ich mich festkrallen konnte – nur daß Jans Stimme immer wieder durch das allgemeine Stimmengewirr zu mir drang, irritierte mich kolossal. Er sprach von London, wohin er demnächst fliegen werde, eine Woche später sei er in Paris, er zählte Hotels und Cafés auf, die Annette vermutlich vor Neid erblassen ließen, und während seine Stimme immer beschwingter, seine Wortwahl immer exaltierter wurde und er sich schon einen Nistplatz in meinem Herzen suchte, überlegte ich, ob ich nicht einfach gehen sollte. Übelkeit vortäuschen. Migräne. Unerledigte Videokassetten …
    Es klappte nicht. Ich saß wie angewurzelt da und konzentrierte mich darauf, nicht in Jans Richtung zu schauen. Einmal hatte sich seine Frau umständlich vorgebeut und mir kurz zugelächelt, ich hatte zurückgelächelt, schuldig, als wäre ich bereits mit ihrem Mann im Bett gewesen. Um weiteren Peinlichkeiten aus dem Weg zu gehen, widmete ich mich fortan nur noch meinen Antipasti: Hauchzarter Wildschweinschinken, mit Olivenöl und Zitronensaft beträufelt, kräftig gepfeffert und mit geraspeltem Parmesan bestreut, eigentlich eine Köstlichkeit, aber mir blieb jeder Bissen im Hals stecken. Zum Glück räumte Greta jetzt die Antipasti ab, um kurz darauf die Flußkrebsschwänze, warmes Baguette und einen Ruccola-Feldsalat aufzutischen.
    »Wo liegt das Problem?« hörte ich Jan über seine Tischnachbarn hinweg zu Micha und damit auch in meine Richtung sagen.
    »Nehmt euch einfach ein Au-pair-Mädchen. Platz genug habt ihr ja.«
    Zum Glück reichte mir Annette gerade die Schüssel mit den Flußkrebsschwänzen, so daß ich damit ausgelastet war, die wunderbar nach Knoblauch duftenden Zappelteilchen aus dem Sud aus Olivenöl und frischer Petersilie zu fischen.
    »Aber Greta will doch wieder arbeiten.« Das war Katharina. Ihre Stimme klang überraschenderweise kräftig und vollmundig wie ein roter Burgunderwein.
    »Greta wird dreißig«, sagte Micha, als ob das eine Antwort wäre.
    Ich würde Greta dafür verachten, wenn sie nur ihrem Mann zuliebeein zweites Kind in die Welt setzen, ihren Beruf endgültig abhaken würde – Muttchen am Herd forever.
    »Und du?« fragte Micha. Er tunkte eine ganze Baguettescheibe in seine Knoblauchsoße und sah zu, wie sie sich vollsog. »No sex – no babys?«
    »Ich bin noch nicht soweit.«

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