Lipstick
Tasse in beiden Händen, um dem letzten bißchen Wärme nachzuspüren.
»Meine Frau war früher Cellistin«, sagte Jan, als ob das ein Thema sei, das unbedingt hierher gehörte.
Ja, wo hat sie denn gespielt, die Gattin? Sie war ja sicher hoch begabt, und schade, daß sie aufgehört hat, oder gibt sie vielleicht noch Soloabende im häuslichen Rahmen?
Ich würgte mir ein »interessant« ab, beschäftigte mich dann ausführlich mit dem schaumigen Cappuccinorest in meiner Tasse.
»Sie hat wegen der Kinder einen Schlußstrich gezogen«, fuhr er dann fort, während uns die Bedienung im selben Moment einen weiteren Cappuccino und eine Cola hinstellte.
Was sollte ich dazu sagen? Sie bemitleiden? Ihn bemitleiden? Er hatte traurig geklungen, aber was ging mich das an? Jan merkte wohl auch, daß er von einem Fettnäpfen ins nächste stolperte, er nahm erst ein paar Schlucke Cola, bevor er tief Luft holte und zur nächsten Frage überging:
»Und Sie? Wie leben Sie so? Michael hat mir erzählt, daß Sie mit Ihrem Freund zusammenwohnen?«
Die Frage überraschte mich derart, daß sie mir einen Schwung Röte ins Gesicht trieb, worüber ich mich wirklich zu Tode ärgerte. War es Jan auch nur annähernd peinlich gewesen, in einer Tour von seiner phantastischen Frau zu reden? Also beschloß ich – und es war nicht mal Taktik –, Tom in einen Himmel zu heben, der ihm bestimmt nicht gebührte.
Im harmlosen Plauderton entwarf ich das Bild eines charmanten Mannes namens Tom, der seinesgleichen suchte. Seine Intelligenz, seine Hingabe und Leidenschaft, gepaart mit Aufmerksamkeit und Zuverlässigkeit – hoffentlich irritierte es Jan wenigstens,daß ich so von meinem Freund schwärmte. Aber er hörte nur ruhig zu, beugte sich manchmal ein wenig nach vorn, um seinen Ellenbogen abzustützen, ruckelte leicht damit hin und her, wodurch ein schabendes Geräusch auf dem Tisch entstand.
Wir waren also mittendrin in einem Spiel aus Anmache und Täuschung, aber weshalb sollte ich mit der Sprache rausrücken, wenn er mir auch so einiges verschwieg? Ich glaube, ich liebe Sie! Falls er meinte, dies sei ein Zauberspruch, Sesam, öffne dich, und damit alles klar! Nichts war klar. Innerlich kochte ich vor Wut – und wünschte mir doch nichts sehnlicher, als diesen Mann endlich zu küssen.
Das konnte ich Jan schließlich nicht sagen, also spielte ich weiter meine Rolle als Toms Quasigattin. Erzählte Einzelheiten aus seiner Kanzlei, Fakten, die mich selbst nicht interessierten, ich berichtete im Detail, wo und wie wir vorzugsweise unsere Urlaube verbrachten, und tat alles in allem so, als säßen hier zwei Kollegen oder gute Kumpel, die nicht im entferntesten an primitive Dinge wie Sex dachten. Und Jan, dieser Mistkerl, hörte immer noch konzentriert-höflich zu, hielt jetzt seine Hände ordentlich an der Tischkante gefaltet.
Als ich das Thema Spanien abgehakt hatte, schwiegen wir uns wieder an. Es war mir unangenehm, so gut kannten wir uns noch nicht, um diese leeren Sekunden zu ertragen. Verlegen warf ich einen Blick auf meine Uhr, aber bevor ich mich entscheiden konnte, ob es der richtige Moment war, um zu gehen, schlug Jan vor, ich solle ihn doch auf eine Vernissage begleiten.
»Wann?«
»Jetzt gleich!«
»Ich weiß nicht«, sagte ich und fühlte mich plötzlich sehr matt.
»Eigentlich muß ich noch an den Schreibtisch.«
»Tun Sie mir den Gefallen.« Jan winkte die Kellnerin heran und zahlte. »Wir gehen jetzt, und wenn die Ampel vorn an der Ecke grün ist, kommen Sie mit, einverstanden?«
Das war ganz nach meinem Geschmack: ein Mann, der nicht versuchte, mich mit billigen Tricks rumzukriegen, sondern einfach ein Spiel erfand. Enemenemuh – und raus bist du!
Als wir das Lokal verließen, hatte ich plötzlich Herzklopfen. Es war doch mehr als ein Spiel, und ich hoffte insgeheim, ihn begleiten zu können.
Die Ampel zeigte Rot an.
»Tja, dann auf Wiedersehen«, sagte ich cool und wartete auf ein Wunder.
»Die Ampel ist grün. Für die Autofahrer. Was haben Sie denn gedacht?«
Wir gingen ein paar Schritte.
»Am liebsten wäre ich eine Ewigkeit mit dir an diesem Tisch sitzengeblieben«, sagte Jan und warf einen kleinen Blick zurück Richtung »Rialto«.
»Wie bitte?«
»Bist du schwerhörig?«
»Seit wann duzen wir uns?«
»Seit jetzt. Ich heiße übrigens Behrent mit Nachnamen. Mit ›t‹.«
»Wie schön«, sagte ich und folgte ihm willenlos über den Zebrastreifen.
Auf Vernissagen zu gehen ist so eine Sache –
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