Lipstick
völlig unbekannte Frau mittleren Alters mit asymmetrischer Goldrandbrille und dazu passend asymmetrischer Frisur ansprach. Sie wollte wissen, wie mir die Ausstellung gefalle, und da ich einige Semester an verschiedenen Universitäten im In- und, Ausland verbracht hatte, war ich immerhin in der Lage, einen qualifizierten und keineswegs vernichtenden Kommentar abzugeben. Die Frau lächelte zu meinen Ausführungen, als sei ich wegen meiner differenzierten Analyse durchaus für den Nobelpreis vorzuschlagen. Zusammen betrachteten wir dann das einzige »Objekt« der Ausstellung, einen grauen, bodenlangen Vorhang, der mich besonders wegen seines wohnzimmertauglichen Faltenwurfes interessierte. Ich wollte mich gerade bücken, um festzustellen,wie der Schnauzbartkünstler denn den Saum so fein säuberlich hingekriegt hatte, als mich die Frau fragte, wie es denn Katharina gehe.
Ich erstarrte. Wahrscheinlich bröckelte mir das Make-up schon vom Gesicht.
»Welche Katharina?«
»Jans Frau.«
»Ich bedauere. Ich kenne sie nur sehr flüchtig.«
»Ach, ich dachte …«
Aber da hatte ich mich schon peinlich berührt weggedreht, zugleich fühlte ich eine Hand auf meiner Schulter, die nur meinem Retter Jan gehören konnte.
Leider war es Hans. Mit Kapuze. Bevor ich auch nur einen Ton rausbringen konnte, hatte er mir die ganze Geschichte seines Künstlerfreundes Henrik erzählt. Auch das noch. Kapuze und Rolli mit Schnauzbart kannten sich seit Kindertagen aus der Fußballmannschaft.
»Und was machst du hier?« wollte Hans schlußendlich wissen.
»Das gleiche wie du, schätze ich. Große Kunst angucken. Hast du übrigens schon den grauen Vorhang gesehen?«
Hans nickte und sagte dann allen Ernstes: »Obwohl – die Bilder gefallen mir um einiges besser. Der Vorhang sieht irgendwie so … monoton aus.«
Bevor ich noch in hysterisches Lachen ausbrach, schüttete ich mir lieber den Rest Sekt in den Rachen und sah mich verstohlen um. Es war entsetzlich: Jan palaverte ein paar Meter von mir entfernt mit drei blonden bis mittelblonden Grazien, während mir nichts anderes übrigblieb, als mit Hans meine jüngste Vergangenheit aufzuarbeiten. In knappen Worten erzählte ich von meinen Synchronkassetten und meinen Daily-Soap-Bemühungen, hielt mich etwas länger bei den Wittgensteins auf und sah dabei alle meine Felle davonschwimmen. Es machte Jan nämlich überhaupt nichts aus, seinen ganzen Charme auch woanders an die Frau zu bringen – wahrscheinlich war es sogar eine seiner Lieblingsbeschäftigungen –, und im gleichen Maße, wie er mich offensichtlich vergaß, begann ich, mit Hans zu flirten, und nach einem weiteren GlasSekt spielte ich wagemutig auf unser Tête-à-tête an. Keine Vorwürfe, warum ich mich nicht gemeldet hätte, nur leises Bedauern: Schon lange suche er eine Frau wie mich.
»Zum Anlehnen?« fragte ich spöttisch.
»Vielleicht auch.«
»Da bist du bei mir an der falschen Adresse. Ich will nur Sex pur.«
»Auch gut.«
»Macho!«
Mir wurde fast übel von unserem Dialog, vor allem, weil ich wußte, daß er ohne meine ekelhafte Jan-Eifersucht niemals zustande gekommen wäre. Eine Frau wie ich – was sollte das denn in Gottes Namen bloß sein?
»Hast du noch was vor?« Hans’ Frage kam durch den gleichmäßigen Geräuschpegel erst mit einer kleinen Verzögerung bei mir an.
Ich antwortete nicht, aber dann fiel mir ein, daß ich ja unter großem Tamtam und an Hans’ Arm die Vernissage verlassen könnte – vielleicht würde das Jans Jagdtrieb wenigstens ein bißchen anstacheln.
Oder war es einfach nur kindisch? Sektglas fallen lassen und ab durch die Mitte, Gekicher, einen Schmatz auf Hans’ Wange. Leider machte er nicht so viel her – rein optisch gesehen.
Trotzdem ging ich.
U-Bahnen können beruhigend wirken. Entscheidungen beschleunigen. Dramen hervorrufen und Männer in der Versenkung verschwinden lassen. Hans servierte ich ab, als die Bahn einlief und er – vertrauensselig wie ein Hündchen – einstieg.
»Also dann …« Die Tür schloß sich, ich blieb draußen – so einfach war das.
Ich wollte meinen Kummer allein begehen. In der Anonymität einer U-Bahn. Leute beobachten. Zwei Bier trinkende Rheinländer, einer von ihnen trug eine straßbesetzte Baseballkappe, daneben eine aufgeschwemmte Frau im roten Anorak mit zufrieden-seligem Lächeln – die drei kamen nicht gerade von einerVernissage. St. Pauli. Feldstraße. Ich fuhr und fuhr, und irgendwann tauchte die Bahn wieder ans Tageslicht.
Ich
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