Lipstick
grundsätzlich und überhaupt. Entweder interessieren einen die Kunstwerke nicht die Bohne (ebensowenig wie das Publikum), und man ist nur wegen ein paar netter Häppchen und noch netterer Getränke gekommen, oder aber – und das ist weitaus schlimmer – man interessiert sich für die Kunstwerke und muß mit ansehen, wie sich das Publikum, kaum daß die Laudatio zu Ende ist, schon am Büfett herumdrängelt.
Die schlimmste aller Varianten aber ist, nur auf eine Vernissage zu gehen, weil man einen bestimmten Mann scharf findet, und da man das nicht öffentlich zeigen darf, gezwungen zu sein, des öfteren an der Sektbar aufzutauchen. Dies ist zwar strenggenommen gar nicht so schlimm, weil man ja auf die Häppchen verzichtet und deshalb das Glas mehr auf jeden Fall verdient hat, andererseits kann es zum Fiasko führen, falls der Angebetete plötzlich umschwenkt und tatsächlich an Sex und anderen Gemeinheiten interessiert ist. Sektbars sind nämlich zu riskant und Toiletten äußerst unhygienisch … Auf jeden Fall hat eine Vernissage per se nichts Erotisches an sich. Es gibt zu wenig wirklich prickelnde Geräusche, nur schleichende Schritte und gedämpftes Gemurmel, hin und wieder eine hysterische Frauenlache oder einen Menschen, der glaubt, sich mit lauter Fachsimpelei wichtig machen zu können, aber es fehlen einfach die Kellner mit den langen weißen Schürzen, das Zischen der Cappuccinomaschine, der Geruch von Kaffee und frisch angelieferten Hörnchen …
Wäre ich bloß nicht … Hätte ich nicht … Wenn Männer nicht halten, was sie versprechen … Es war mein Problem, daß ich meinen Verstand an der Ampel zurückgelassen hatte.
Jan nutzte den kurzen Fußweg, um mich doch nach meinen Aktivitäten am Schreibtisch auszufragen. Aber wie erklärt man bitte schön einem Manager für orthopädische Schuhe das Prinzip der Seifenoper? Ich tat so etwas nicht gern, grundsätzlich nicht, aber es war allemal besser, als zu schweigen.
»Seifenopern sind Gift«, sagte ich altklug. »Wenn man als Zuschauer Pech hat, wird man süchtig und hängt jeden Abend vor der Glotze.«
»Aber dann hat man als Autorin nicht versagt«, erwiderte Jan gewinnend lächelnd.
»Schon möglich.« Blablabla …
Immerhin füllten wir den reichlich schwülen Spätnachmittag mit Worten, Jan wollte mehr über meine Synchronarbeit wissen, dann wurde er plötzlich pathetisch, redete irgend etwas von wegen Kulturauftrag oder so daher, wobei ich nicht begriff, ob ich dem Kulturauftrag nun nachkam oder nicht.
Vor der Galerie war schon der Teufel los. Alles, was sich für hip oder reich oder begehrenswert oder zumindest interessant hielt und das mit entsprechenden Klamotten zu dokumentieren verstand, war hier anzutreffen. Eine Rothaarige in einem pinkfarbenen Lack-Ensemble versperrte uns den Weg.
»Hör mal, ich glaub, die Veranstaltung ist nicht so ganz mein Fall«, flüsterte ich Jan zu, als wir die rot-pinke Frau unter Zuhilfenahme unserer Ellenbogen passiert hatten. Jan sah mich überrascht an, sagte aber nichts und richtete statt dessen seinen Blicknach vorn: Wir waren mitten in die Eröffnungsrede geplatzt, und das, was der Redner da zum besten gab, war genauso nichtssagend wie die ausgestellten Bilder. Eine Laudatio auf einen No-name-Typen, der in besonders originellem Künsderoutfit (ungewaschene Haare, schwarzer Rolli, schwarze Hose) neben dem Redner am Pult stand und an einer selbstgedrehten Zigarette lutschte. Das einzige, was ihm noch einen Hauch von Originalität gab, war ein extrem dick und breit gewachsener Mafioso-Schnauzbart.
Ganze fünfzehn Minuten verharrten wir wie die Ölgötzen an unserem Platz, dann hatte das Grauen zum Glück ein Ende. Obwohl ich geradezu nach einem Glas Sekt lechzte, sah ich mir der Höflichkeit halber erst die Ausstellung an. Auf jedem zweiten Bild war ein schwarzes Quadrat auf einer farbigen Fläche zu sehen, die Bilder dazwischen kündigten die jeweils neue Farbe an. Ich war schlichtweg ergriffen. Beim vorletzten Bild – die Sektbar rückte bereits in greifbare Nähe – wurde Jan von einem Herrn mit silbrigem Vollbart angesprochen. Wie das Amen in der Kirche kam die Frage nach Katharina, ach, der geht’s blendend, ich stand als mehr oder weniger schmückendes Beiwerk daneben, als nicht mal fünftes Rad am Wagen.
Mit einem raschen Nicken in Richtung der beiden Herren tauchte ich in der Menge unter und steuerte die Bar an.
Ich hatte gerade mein rettendes Sektglas in der Hand, als mich eine mir
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