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Lipstick

Lipstick

Titel: Lipstick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Fuelscher
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Frage unangenehm war, ob sie ihn kaltließ oder ob er sie für angebracht hielt. Gut – nur dieses eine Wort! Dann zauberte er aus der Innentasche seines Jacketts eine Reihe Fotos hervor.
    Der ist komplett verrückt, dachte ich, als er zu kommentieren begann: Das sei seine Tochter Mara, die Älteste. Blond und hübsch. Die zweite Tochter Susann, ein kleines dunkelhaariges Wesen, das wie ein Kobold aussah, auf einem dritten Foto war die ganze Familie vereint, Jan und Katharina, die beiden Mädchen, vor ihren Füßen krabbelte ein Kleinkind.
    »Das ist Timmi. Er ist mongoloid.«
    »Ach so«, sagte ich, nachdem ich mühsam ein »Das tut mir aber leid« unterdrückt hatte.
    »Wir lieben Timmi sehr. Er ist eine Seele von Kind.«
    »Kümmert sich Ihre Frau …?«
    »Zur Zeit teilt sie sich die Arbeit mit einem Pfleger. Demnächst kommt Timmi in einen speziellen Kindergarten.«
    »Was wollen Sie eigentlich von mir?« Genauso plötzlich, wie ich die Frage gedacht hatte, war sie auch schon formuliert.
    Jan zog vor Überraschung beide Augenbrauen hoch, faßte sich aber schnell wieder.
    »Soll ich ehrlich sein?«
    »Ja, bitte.«
    »Ich möchte mit Ihnen schlafen. Ich glaube, ich liebe Sie.«
    Das war ziemlich direkt, um nicht zu sagen beeindruckend direkt. Ich floh auf die Toilette, den einzigen Ort, an dem ich im Umkreis von einigen Metern vor diesem Mann sicher war. Und vor mir selbst – ich begriff nicht, was hier eigentlich vor sich ging. Warum mich dieser Mann um den Verstand brachte, ich verstand es einfach nicht. Und was hatte es mit seiner Beziehung zu seiner Frau auf sich? Er schien mir zumindest kein Draufgänger zu sein, das nicht, oder aber er hatte im Laufe der Jahre eine besonders merkwürdige Form des Balzverhaltens entwickelt.
    Er war der erste Mann meines Lebens, den ich siezte, bevor ich etwas mit ihm anfing.
    Ich möchte mit Ihnen schlafen. Ich glaube, ich liebe Sie. So sauber formuliert, fast aseptisch, auf jeden Fall schwiegersohntauglich – wer hatte schon etwas gegen einen Schwiegersohn, der so höflich sein Anliegen vortrug und gleich noch eine Liebeserklärung mitlieferte?
    Er hätte auch sagen können »Baby, ich will dich ficken« oder »Ich bin scharf auf dich« oder einfach nur »Fick mich!«. Zwei kleine, lasziv hingehauchte Wörter hätten genügt, um die Sache voranzutreiben. Aber dieser Kerl sagte: »Ich möchte mit Ihnen schlafen. Ich glaube, ich liebe Sie«, worauf doch kein Mensch was Vernünftiges erwidern kann. Sollte ich etwa antworten: »Sie sehen auch ganz passabel aus. Kann sein, daß ich Sie ebenfalls liebe.« Oder: »Aber gerne doch. Was schlagen Sie vor, wo wollen wir es tun?« Oder: »Wenn Sie mögen, können wir es gleich hier treiben.« Sehr kompliziert. Bei der »Fick mich!«-Version hätte immerhin ein Wort als Antwort gereicht. »Gebongt«, hätte ich geantwortet – eine wunderbar klare Sache.
    Aber jetzt stand ich im Damenklo dieses Lokals und hatte zum ersten Mal in meinem Leben kein Patentrezept zur Hand.
    Als ich an unseren Tisch zurückkehrte, erschien mir Jan reserviert. Die kleine Narbe auf seiner Stirn hatte einen leicht violetten Farbton angenommen.
    »Wir sollten das Thema wechseln«, schlug er vor.
    »Sex ist also kein gutes Thema?«
    »Eines der besten, aber manchmal einfach unpassend.«
    »Was Sie nicht sagen!«
    »Möchten Sie noch einen Kaffee?«
    Aus einer Art Ratlosigkeit heraus nickte ich ein paarmal. Ich war nicht mehr peinlich berührt, weshalb auch, so wie er in die Offensive ging, brauchte ich mich doch ebenfalls nicht zurückzunehmen.
    Jan ging nach vorn an den Tresen, um die Bestellung aufzugeben, so daß mir genügend Zeit blieb, nochmals seine Hinteransicht zu betrachten, und er war, seit ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, immer noch nicht das geworden, was man sich gemeinhin unter einem stattlichen Mann vorstellt. Schlaksige Gestalt mit linkischschwankenden Bewegungen, aber seltsamerweise gefiel mir gerade das.
    Vermutlich wußte Jan genau, daß ich ihn fixierte, denn er drehte sich so plötzlich um, daß mir keine Zeit mehr blieb, wegzusehen. Wieder dieses schüchterne, jungenhafte Lächeln.
    Halbzeit. Ab sofort redeten wir nur noch über anständige Dinge. Theater, Kino und Musik.
    Jan haßte Theater, dagegen liebte er Kino und betrachtete klassische Musik als lebensnotwendiges Elixier.
    »Bach?« fragte ich.
    »Besonders Bach«, antwortete er, und damit war schon ziemlich viel gesagt.
    Wir schwiegen uns eine Weile an, ich hielt meine leere

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