Lipstick
tiefste Depression versank, anstatt Land und Leute und Küche zu genießen? Am meisten irritierten mich die Butterbrote, die Greta mir unter Ausschüttung gewisser mütterlicher Hormone geschmiert hatte. Zwei mit Käse, zwei mitSchinken, zwei mit Butter, letztere, so sah es ihr Versorgungsplan vor, sollten zu den hartgekochten Eiern gegessen werden. Dazu eine Thermoskanne mit Milchkaffee – Kaugummi, Mineralwasser und Schokolade hatte sie leider vergessen. Bye-bye, Küßchen links, Küßchen rechts, ein kleiner Knuff in ihre Seite, dann war ich in der Limousine verschwunden, die mich ins Land der Zitronen und der besten Cappuccinomaschinen der Welt bringen sollte.
Hans hatte die ganze Zeit über gute Laune und im übrigen Kassetten eingelegt, die ihn wohl an seine Jugend erinnerten. Erste Liebe und so. Mich erinnerten sie an rein gar nichts, was dazu führte, daß ich mich zurücklehnte, die Augen schloß und versuchte, nicht an Jan zu denken. Nach der ersten Rast hinter Göttingen, bei der die Eier geköpft wurden und die Butterbrote zum Einsatz kamen, hatte Hans auf einmal die glorreiche Idee, bis nach Italien durchzufahren. Ich fand die Vorstellung, schon heute nacht in irgendeinem italienischen Örtchen anzukommen, zwar großartig, andererseits war es der helle Wahnsinn, zumal ich nicht fahren konnte und Hans die ganze Strecke allein zu bewältigen hatte.
»Du hast deinen ersten Termin doch erst übermorgen«, sagte ich lahm, während Hans mich schmachtend von der Seite anlächelte und mir zu verstehen gab, wie sehr er sich auf einen ganzen, sozusagen unzerstückelten Tag mit mir freute.
Ich lächelte zurück und schämte mich nicht mal, daß ich kein bißchen in ihn verliebt war.
»Und wenn wir kein Zimmer bekommen?«
»Wir bekommen eins.«
»Wieso bist du dir so sicher?«
Er klopfte irgendwie machohaft aufs Lenkrad. »Stammkunde. Como, Bellágio, Siena – nenn mir einen x-beliebigen Ort auf der italienischen Landkarte …«
Ich fragte mich ernsthaft, was Hans überhaupt mit dem Kapuzenmenschen von damals gemein hatte. Und für welchen Typ ich mich am ehesten erwärmen konnte, für den dünnen Milchbubi, den angeberischen Unternehmer oder gar den liebevollen Frühstückszubereiter,war mir auch nicht klar. Manchmal erinnerte mich Hans an eine Zeichentrickfigur, die lediglich zur Hälfte erfunden worden war, und dann hatte sich ein anderer Zeichner drangemacht, um mit völlig anderen Pinselstrichen das Werk zu vollenden. Mit anderen Worten: Hans paßte vorne und hinten nicht zusammen, und vielleicht war gerade das noch das einzig Reizvolle an ihm.
Irgendwann schlief ich ein. Die Autobahn summte mir ein Schlaflied, und ich träumte von italienischen Bars, die jede für sich, egal, ob im hinterletzten Kaff oder in der Stadt, erotischer waren, als es je ein Mann sein konnte.
Als ich aufwachte, war es stockdunkel, Baumkronen flogen vorüber.
»Wo sind wir?«
»Trentino.«
»Ich kann nicht mehr sitzen.«
Hans machte am nächsten Rastplatz halt, die Luft war kalt, und ich aß eines der Käsebrote, das irgendwie den mehligen Geschmack von zu lange gekochtem Reis angenommen hatte. Vielleicht wollte ich auch einfach nur ins Bett. Aber das wollte Hans nicht. Lieber in den sauren Apfel beißen und noch die paar Stunden weiterfahren, lautete seine Devise – was mir ganz und gar nicht gefiel.
Das konnte ja heiter werden! Meine erste Reise mit Hans, und schon zu Beginn kamen wir auf keinen gemeinsamen Nenner.
Schlecht gelaunt preßte ich mich wieder auf den Beifahrersitz und schloß die Augen. Ich haßte Männer, die auf Teufel komm raus ihren Willen durchsetzen mußten, und wenn Hans schon so scharf darauf war, daß ich ihn begleitete, sollte er gefälligst ein bißchen mehr Entgegenkommen zeigen.
Zum Glück fiel ich wenigstens noch einmal in eine Art Dämmerschlaf. Ich träumte wirre Sexgeschichten, ein Jan mit Hans-Kapuze geisterte durch mein Schlafzimmer, er biß mich leicht in den Nacken und flüsterte mir zu, ich solle ihm gefälligst einen Cappuccino kochen.
Dann wachte ich plötzlich von einem leichten Stoß in die Seite auf. Hans grinste mit den Worten »Allora, Signorina!« zu mir rüber.
»Wo sind wir?«
»Schon in der Toskana, Chérie. Das ultimative Ziel unserer Wünsche!«
Wir stiegen aus dem Wagen. Ein einfaches Landhotel, und wie mein Boß mir prophezeit hatte, bekamen wir ein Zimmer. Während ich schlaftrunken ins Bett plumpste, stieg Hans fidel unter die Dusche und dann ebenso fidel zu
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