Lipstick
hatten wir mit all den Tagen angestellt, die jetzt als buntbedrucktes Altpapier in den Kartons herumlagen?
Aber bloß nicht sentimental werden! Schließlich liebte ich Jan und schlief mit Hans, und die Sache mit Tom war sowieso schon lange aus und vorbei. Wir würden Freunde bleiben – e basta.
Tom wollte ein Abschiedsessen, bevor er in seine neue Wohnungin der Grindelallee umzog, die ihm der Makler eines Arbeitskollegen zugeschanzt hatte. Ich fand das gar nicht so übel.
So stellte er sich schon etwa vierzehn Tage später in die Küche und sah, während er das Gemüse putzte und das Fleisch klopfte, einfach hinreißend aus. Groß und stattlich und mit wunderbar glänzend-braunen Haaren. Wollte ich wirklich, daß er ging? Und wenn ja, wieso konnte ich mich so wenig freuen? Okay, Tom würde mich nicht mehr mit seiner Nichtanwesenheit quälen, finito, ein für allemal, endlich hätte ich eine Frau wie Greta an meiner Seite, einen Weinhändler, der mich aus sicherer Entfernung anbetete, und zu guter Letzt die Erinnerung an einen Mann, der so etwas wie Übereinstimmung zwischen mir und meinem Körper hergestellt hatte.
Tom stand also in der Küche, hatte schon einen guten Wein geöffnet (was in den letzten acht Jahren so gut wie nie passiert war), während ich mich wieder mal über meine Posthäufchen auf dem Küchentisch hermachte und wieder mal nur mit halbem Ohr Toms Brabbeleien zuhörte. Ein Brief vom Schäfer – so schnell kam eine Reaktion auf meine zweite Fassung? Ich hatte das Buch doch gerade mal vor drei Tagen losgeschickt! Diesmal war ich aufgeregter als bei Ralfs Formbrief. So anämisch, wie der Umschlag aussah, konnte doch nichts Gutes drinstehen. Ich überflog den Inhalt, was gar nicht so einfach war, denn sobald ich Angst vor dem Geschriebenen hatte, las ich nur einzelne Wörter, die für sich allein keinen Sinn ergaben, und Tom redete in einer Tour dazwischen, ebenfalls Wörter, die keinen Sinn machten, nur der Geruch von gedünsteten Zwiebeln lag ganz unzweifelhaft und lecker in der Luft. So geht das nicht … Nichtssagende Dialoge. Obwohl … Wenn man’s genau nimmt … enttäuscht …
Ich ließ den Brief sinken, hatte wohl einigermaßen begriffen, worum es ging. Mein Geschmiere, auf das ich vor ein paar Tagen noch so stolz gewesen war, fiel also in die Kategorie »stark bearbeitungsbedürftig«, alles neu macht der Mai, wieder fünf Seiten Anmerkungen, bei deren Anblick sich mir schon die Nackenhaare sträubten. Was bildete sich der aufgeblasene Filzhut-Mensch eigentlich ein? Warum war dieser Vergleich zu weit hergeholt,warum jener Cliff nicht spannend genug? Ich verstand die Welt nicht mehr, hätte gern ein bißchen geweint, aber eine Indianerin kennt ja keinen Schmerz, und wenn sie beleidigt worden ist, beißt sie einfach die Zähne zusammen und leidet still vor sich hin. Lammkoteletts waren immerhin eine angemessene Entschädigung.
Ich legte ein heiteres Trennungsgesicht auf und fragte Tom, wann er mir denn mal seine neue Wohnung zeigen würde. Bislang wußte ich nur, daß sie riesengroß war und einen Balkon zur lärmenden Straße hatte.
»Wann immer du willst.« Er guckte auf den Brief, den ich wie eine verrottete Scheibe Käse in den Händen hielt. »Schlechte Nachrichten?«
»Super Nachrichten.«
»Kommst du groß raus?«
»Schon möglich. Wenn ich mich zehnmal durch den Fleischwolf drehen lasse.« Ich holte zwei Gläser aus dem Schrank, schenkte uns Wein ein. »Hör mal, was willst du eigentlich mit hundertzwanzig Quadratmetern?«
Tom drehte mir den Rücken zu und stellte den Wasserhahn an. Die leicht gebeugte Haltung – ich kannte niemanden, der sich so lange und penibel die Hände einseifte. Er murmelte etwas von Familie, was mich fast dazu brachte, einen Lachkrampf zu bekommen.
»Du und eine Familie?«
»Was ist daran so komisch?«
»Daß du so was ja offensichtlich nie mit mir wolltest.«
»Und du mit mir?« fragte Tom.
Ich zuckte die Schultern und dachte automatisch an Sex mit Jan.
»Hast du schon ein Objekt im Auge?«
»Kein Objekt. Eher ein Subjekt.«
»Name?«
»Rita.«
Das saß. Die schöne Rita mit den spitzen Knien, die eigentlich längst abgemeldet war.
»Seit wann läuft denn wieder was mit … deiner Rita?« giftete ich Tom an und ärgerte mich gleichzeitig, daß ich mich so wenig im Zaum hatte.
»Komm, Katja! Wir gehen beide unsere eigenen Wege. Was spielt es da noch für eine Rolle!«
»Bist du wenigstens glücklich?« zeterte ich weiter.
»Ja.
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