Lipstick
sein Tempo.
»Tschüs!« rief ich ihm noch zu, winkte und verschwand in der Johnsallee.
Natürlich kannte ich die Straße. Schließlich hatte ich um die Ecke studiert, außerdem wohnte in der Nummer vierzehn einer meiner Exlover.
Dritter Stock. Ich klingelte, fast in derselben Sekunde ertönte der Summer. Als hätte Jan schon im Flur gelauert. Ich stieß die Tür auf, im Hausflur standen diverse Kinderwagen und Buggys herum. Mit Grauen dachte ich daran, daß es in Jans Wohnungnicht nur ein Eheschlafzimmer gab, sondern auch mindestens ein Kinderzimmer voll mit Spielzeug und Bettchen. Das Spielzeug und die Bettchen seiner Kinder.
Jan wartete oben an der Tür. Er kam mir noch riesiger vor, als er sowieso schon war. Ich streifte nur leicht seine Schulter und trat ein. Ein merkwürdig vertrauter Geruch stieg mir in die Nase. Ich überlegte hin und her, Zahnarztpraxis, Schule – aber ich konnte ihn beim besten Willen nicht einordnen.
»Katja!« Jan griff nach meiner Hand, die ich ihm sofort wieder entzog. Es war mir unangenehm, daß er mich in seinen vier Wänden anfaßte. »Wohnungsbesichtigung?« fragte er dann.
»Ja, bitte.«
Über einen langen, breiten Flur, der mit Kinderspielzeug und ausgelatschten Schuhen in jeder erdenklichen Größe übersät war, führte er mich in einen großen, fast leeren Raum. In der Ecke ein dunkelgrüner Zweisitzer, zwei Rattanstühle, ein winziger runder Tisch, der wohl als Schreibtisch diente – das war alles. Auf dem Parkettfußboden lagen Dutzende von Zeitschriften herum, eine Wasserflasche, ein Zehnerpack Taschentücher …
»Dies ist mein Reich.«
»Habe ich mir anders vorgestellt.«
»Wie denn?«
»Voller. Verplüschter.«
»Willst du Katharinas Zimmer sehen?«
»Danke. Kein Bedarf.«
»Und die Kinderzimmer?«
Bevor ich etwas antworten konnte, schob Jan mich zurück über den Flur und öffnete die zweite Tür auf der linken Seite.
»Voilà, das Badezimmer.«
Sehr schön. Sehr blau. Und sehr sauber.
Der nächste Raum war das Kinderzimmer. Zwei Betten standen drin, eine Flügeltür führte zu einem zweiten, kleineren Raum, in dem ebenfalls noch ein Bett stand. Beide Zimmer waren picobello aufgeräumt, die Spielsachen akkurat in blau angestrichenen Holzkisten verteilt.
»Wo sind die Kleinen?« fragte ich zögernd.
»Bei der Schwiegermutter. Katharina auch. Jetzt die Küche?«
»Von mir aus«, sagte ich achselzuckend und ließ mich wieder über den Flur schleifen.
Die Küche war ebenfalls großzügig geschnitten. Schränke im Stil der fünfziger Jahre hingen an der Wand, in der Mitte stand ein großer, quadratischer Holztisch, umringt von lauter bunten Stühlen. Auch hier hatte irgendein Geist geradezu pedantisch aufgeräumt. Merkwürdig dagegen das Chaos auf dem Flur.
»Und wo schläfst du?«
»Hinten in dem kleinen Abstellzimmer. Auf einer Matratze. Katharina hat unser Bett in ihrem Zimmer.«
»Selbst wenn man keinen Sex hat, kann man doch in einem Bett schlafen.«
»Ja. Tun wir manchmal auch.«
»Ach so«, sagte ich tonlos. Dann war ja alles klar.
»Hast du Hunger?«
»Vergleichsweise ja.«
Es sollte gar nicht so zweideutig klingen, aber Jan schloß mich in seine Arme und wollte mich küssen.
»Laß das bitte …« Ich machte mich los. »Hast du keine Skrupel?«
Ohne zu antworten, ging Jan an einen der Hängeschränke und holte eine Bistro-Kaffeekanne heraus.
»Okay, also essen wir was. Vollkornbrötchen? Eier? Marmelade? Käse?«
Obwohl mir noch leicht übel war, nickte ich.
Jan setzte Kaffee auf, normalen deutschen Kaffee, dann das Eierwasser, schließlich deckte er den Tisch. Seine Bewegungen waren langsam und bedächtig, was mir aus unerfindlichen Gründen auf die Nerven ging. Ich entschied mich für den roten Stuhl, setzte mich und kratzte ein wenig Kerzenwachs vom Holztisch. Was nur sagen? Mir fiel nichts ein. Nicht in dieser Wohnung.
»Wieder eingelebt?« fragte Jan. Offensichtlich war ihm ebenfalls sein Wortschatz abhanden gekommen.
»Jaja«, sagte ich nur und beschäftigte mich weiter mit den Wachsresten.
Zwar wußte ich jetzt, wie Jan lebte, aber was hatte ich davon? Eigentlich irritierte es mich nur, weil ich jetzt immer, wenn ich mit Jan zusammen war, auch das Kinderzimmer und die lustigen Stühle in der Küche, diese Mosaiksteinchen namens Familie, vor Augen haben würde.
Endlich war der Kaffee fertig. Wenigstens konnte ich mich nun an meiner Tasse festhalten.
»Ich muß dir unbedingt den Dachboden zeigen. Er ist wirklich
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