Lisa
möchtet ihr euch gleich dafür entschuldigen und dazusagen, dass ihr es ja nicht so meint. Was meint ihr denn nicht wie? Ihr wollt nicht für einen knorrigen Erziehungsnazi gehalten werden. Deswegen versucht ihr Wörter wie Disziplin, anständig, ungezogen zu vermeiden, denn es gibt Leute, bei denen gehen da sofort die Alarmsirenen an, und ihr werdet für einen rechten Fanatiker mit Turnvater-Jahn-Attitüde gehalten.
Sonderbarerweise ist das den Menschen wichtig. Sie wollen nicht für rechte Fanatiker gehalten werden. Als ob es einen großen Unterschied gäbe zwischen extremen Rechten und extremen Linken. Die einen sind Trottel und die anderen sind Trottel. Und die in der Mitte haben Angst, den Mund aufzumachen und Worte wie Erziehung von sich zu geben. Es bestreitet doch keiner, dass man sich irren kann und dass man in der Erziehung seiner Kinder ständig Fehler macht, aber man muss nun mal eine Linie vorgeben, manmuss, man muss, man kann sich nicht darum drücken, das Kind braucht diese Linie, und sei es manchmal auch nur, um sich dagegen aufzulehnen.
Jude ist auch so ein Wort. Jude ist ein Wort, das die Leute ebenfalls vermeiden. Und wenn sie es sagen, sagen sie es mit flachem Atem. Und ein bisschen leiser. Ein kleines bisschen. Juuuude. Vor keinem Wort scheinen die Leute mehr Angst zu haben. Ich frage mich, was dahintersteckt. Fehlt nur, dass sie sich umsehen, ob jemand zuhört, ehe sie es aussprechen.
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Schimpfe schon wieder.
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Milde, Weisheit, Frieden mit der Welt oder wenigstens Waffenstillstand – ich wünsche es mir. Ich strebe all das an. Aber die Welt hat etwas dagegen. Die Welt torpediert einem die besten Vorsätze. Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es der böse Nachbar nicht will.
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Ja ja, Gandhi, ich werde dir deinen Gandhi geben.
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Was ich da mache, ist Pfeifen im Wald.
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Jetzt ist Alex aufgewacht, als ich bei ihm reingeschaut habe, und wollte ein Eis. Muss wohl geträumt haben. Ich habe mir wieder den Whisky …
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Die Sauerei mit den Tätowierungen. Ein paar Jahre hat Lisa keine allzu monströsen Sachen angestellt. Vergleichsweise, meine ich. In den Neunzigern gab es eine Phase von vier, fünf Jahren ohne Morde, zumindest weiß man von keinem.Vielleicht war sie ja wirklich auf dem Balkan oder in Ruanda unterwegs.
Allerdings gab es bei uns die Fälle mit den Haaren und den Tattoos. Da stieg ein Verrückter nachts bei Frauen ein und schnitt ihnen die langen Haare ab, was keine von ihnen bemerkte, erst am nächsten Morgen, zack. Das muss ein Gefühl sein, du wachst auf, gehst ins Bad und hast keinen Zopf mehr. Da denkst du doch, du bist übergeschnappt. Na, das war Lisa. Mit Gewissheit. Ohne männlichen Beistand, nur sie.
Und die Tätowierungen, reinste Barbarei. Sie hat am Waldrand Spaziergänger niedergeschlagen und ihre Tattoos runtergesäbelt. Das hat sie viermal gemacht, zweimal in Innsbruck, einmal in Magdeburg, einmal bei Kiel. Immerhin ist keiner gestorben.
Auf den Tattoodiebstahl am lebenden Objekt hat sie übrigens keine Exklusivrechte, das haben schon andere vor ihr fabriziert, aber dadurch wird die Sache nicht besser.
Ich habe auch ein Tattoo. Nicht, dass es mir peinlich ist, aber dennoch wäre mir heute lieber, ich hätte mir an dem Tag den Köchel verstaucht und nicht zum regierenden Tattoo-Europameister Jack die Kralle pilgern können. Ich war sechzehn, und außer mir hatte keiner eines. Konnte ja keiner wissen, dass fünf Jahre später jede Sekretärin und jeder Geographielehrer mit einer Schlange am Fußgelenk oder einer Rune am Unterarm rumlaufen werden.
Wenigstens sieht man meines nicht, das heißt, es sieht nur jemand, der mich sehr gut kennenlernen darf, ich habe es nämlich am Unterbauch. Ein überdimensionaler Marienkäfer. Aber egal, ist meistens gut angekommen. Erinnere mich noch, wie Katha den Kopf hob und mich angrinste und sagte: Wie ist denn das passiert?
Jedenfalls weiß der Himmel, was Lisa mit den Tätowierungen wollte.
…
Am Speicher gerade Mäusejagd. Hört ihr es?
Alex hat sich heute beschwert, das Wasser im Teich ist ihm zu kalt. Kann mir vorstellen, was mein Vater dazu gesagt hätte. Das war so ein Strammer, für den das Wetter gar nicht mies genug und das Meer gar nicht kalt genug sein konnte. Ich glaube, der hat sich gefreut, wenns ordentlich geschüttet hat. Unter drei Stunden spazieren gehen ist der nicht glücklich gewesen. Leistung! Darauf hat er geschworen.
Auch ein Reizwort. Ich bin ja für Leistung, aber
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