Lisa
kocht.
Noch feiner fand ich ihre Haltung, als ich in Ägypten im Krankenhaus lag, weil sie mir den Blinddarm rausnehmen mussten. Ich rufe sie direkt vor der Operation an: Hey, mach dir keine Sorgen, ich muss jetzt kurz da rein, ich melde mich später. Dabei habe ich selbst, sagen wir mal, gemischte Gefühle gehabt. Wer wünscht sich schon, in der Dritten Welt mit Ärzten oder gar Krankenhäusern zu tun zu haben. Ich meine, Spritzen sind stumpf, Skalpelle rostig, die Ärzte äschern und spucken in die Wunden und verschließen sie mit Klebeband, mit den OP-Tüchern ist vorher der Kaffee vom Tisch gewischt worden, und die Krankenschwester hat offene TBC. Wie sich der Europäer eben die Dritte Welt vorstellt.
Ich glaube, man darf nicht mehr Dritte Welt sagen. Heißt es jetzt nicht Schwellenländer?
Das überfordert mich gerade. Jedenfalls sagt sie: Oje! Ach … Hm. Und ich höre schon, da ist noch was anderes, ich frage, was ist los, was ist denn? Und sie: Ach nichts. Ich weiß nicht, wie ich das allein schaffen soll mit der Kleinen, übermorgen kommen doch die Maler.
Also keine Kriegsbraut. Katha war so was. Bene könnte so was werden.
Bin neugierig, was der mir erzählt. Ich traue dem zu, dass er reingeht. Gestern noch hätte ich daran nicht einmal einen Gedanken verschwendet, aber jetzt halte ich alles für möglich, er hat nämlich einen Schlüssel. Wir wohnen nichtweit auseinander, und für den Fall, dass ich mich aussperre, habe ich einen Zweitschlüssel bei ihm deponiert.
Gesagt habe ich ihm nicht, dass er reingehen soll. Ich glaube auch nicht, dass er es tut. Ausschließen würde ich es jedoch nicht.
Fragt sich nur, was ich mir erwarte. Selbst wenn er reingeht und sich umsieht. Was soll es denn da zu entdecken geben?
Irgendwann gestern Nacht habe ich mir eingebildet, ein Auto zu hören, und am Morgen lag ein Stück von einem Abschleppseil in der Wiese. Es kann sein, dass ich es bisher übersehen habe. Kann aber auch sein, dass es heute Nacht jemand verloren hat.
Wahrscheinlicher ist, dass es schon vorher da war. Hm?
…
Man muss sich im Leben an Wahrscheinlichkeiten halten. Das ganze Leben ist ein Operieren mit Wahrscheinlichkeiten. Ist es wahrscheinlich, dass Lisa mich sucht? Nein, ist es nicht. Ist es absolut nicht.
…
Sorry, ich hänge einfach so meinen Gedanken nach.
…
Ich habe noch gar nichts vom heutigen Tag erzählt, oder? Moment, was war heute überhaupt? Beziehungsweise gestern?
Ach ja, die Geschichte mit dem Haus! Das war was! Ich muss nur die richtige Reihenfolge zusammenbringen.
Wir waren einige Stunden unterwegs. Vor der Übernachtung im Zelt habe ich mich gar nicht drücken müssen, darauf war Alex plötzlich selbst nicht mehr scharf, als er sich erinnert hat, dass dem Zelt keine Satellitenschüssel aus demDach wächst. Stattdessen wandern wir. Der Wald hier ist von einer Ausdehnung, die einem unheimlich werden könnte, wäre er nicht so banal schön. Das sagt sich so dahin, aber marschiert ihr da stundenlang herum, wird euch bewusst, was das bedeutet.
Wir gehen und gehen und gehen. Wir kommen zu einer Lichtung mit einem Bach. Die Sonne glänzt golden auf den Steinen, das Wasser blitzt, es ist warm und es riecht nach Gras und Blumen und Wald. Irgendwo raschelt etwas. Wir schauen hin, sind es drei Rehe. Alex hat mich nur stumm angesehen, und seine Augen haben buchstäblich geleuchtet.
An dieser Stelle haben wir die Decke ausgebreitet und gegessen. Er hat natürlich dauernd irgendwelche Beeren in sich hineinstopfen wollen, die er mit seinem Buch bestimmt hat, aber das war mir nicht ganz geheuer, die haben mir verdächtig nach Durchfall ausgesehen. Ich habe ihm gesagt, er soll sie einpacken und mitnehmen. Wenn schon Magen-Darm-Zwischenfälle, dann bitte wenigstens in der Nähe von Klo und Auto und nicht drei Stunden Fußmarsch weit weg.
Wir gehen weiter. Nach einer Weile stoßen wir auf eine alte Hütte. Ewig verlassen, völlig verfallen. Kaputte Fensterläden, eingeschlagene Scheiben, der Garten überwuchert und als solcher kaum noch zu erkennen, sogar auf der Türschwelle steht knöchelhoch das Gras.
Das war ein Abenteuer! Alex wollte nicht hinein. Er ist zehn Meter weit weg stehen geblieben und hat geschrien, ich soll da nicht hineingehen. Natürlich bin ich hinein, warum auch nicht, und drinnen: ein riesiges Etwas. Eine Maschine. So groß, dass sie kaum in die Stube passt. Als ich umsie herumgehe, muss ich mich an die Wand drücken, so wenig Platz ist da. Es wird auch von
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