Lisbeth 02 - Ein Mädchen von 17 Jahren
Sohn sorgte dafür, daß ich auf diesem Gebiet nie arbeitslos war. Als wäre es ganz selbstverständlich, nahm sich Marianne ebenfalls ein Paar Kniestrümpfe vor. Sie arbeitete schnell und sauber und kümmerte sich nicht um meinen Protest.
„Wie scheußlich“, sagte ich. Nachdem ich an Peiks Strümpfen die schlimmsten Schäden ausgebessert hatte, war ich jetzt bei meinen eigenen angelangt.
„Was ist?“ fragte Marianne.
„Eine Laufmasche an meiner neuen Strumpfhose“, seufzte ich. „Von einem gebrochenen Nagel abgesehen, kenne ich nichts Schlimmeres.“
„Laß mich das in Ordnung bringen!“ sagte Marianne. Sie nahm mir die Strumpfhose aus der Hand und betrachtete sie mit gerunzelter Stirn. „Ich werde sie mit nach Hause nehmen. Wir haben nämlich daheim eine ausgezeichnete Patentnadel für solche Fälle!“
„Nein, Marianne! Das sollst du nicht!“
„O doch! Sei nett und sage ja! Ich tue es furchtbar gern!“
„Das ist aber wirklich zuviel, Marianne – “
„Mit anderen Worten: du sagst ja! Fein! Ich nehme mir die Strumpfhose morgen vor, und am Montag bekommst du sie wieder. Ich verstehe mich darauf, weißt du! Mutti und ich haben uns eine Zeitlang mit Kunststopfen abgegeben, daher…“ Sie brach unvermittelt ab und steckte die Strumpfhose in ihre Tasche.
Ich wurde aus Marianne nicht klug. Sie war bescheiden und selbstsicher zugleich; wirtschaftlich schlecht gestellt und durchaus kultiviert. Ein Zimmer mit Küche, Putzmacherei – und dabei sprach sie fließend Französisch. Kunststopfen – und eingehende Kenntnis von Segelbooten. Wie reimte sich das zusammen? Es war etwas an Marianne, das es einem verbot, sie zu fragen. Das junge Mädchen war mir schon sehr ans Herz gewachsen.
Lisbeth bekam weder ein Zahngeschwür noch einen Schnupfen. Der Montag war da, und sie war so glänzend aufgelegt wie nur je.
Ich blickte ihr in mütterlicher Besorgtheit nach, als sie, mir einen Abschiedsgruß zuwinkend, zum Omnibus rannte. Sie nahm sich in ihrem Reitkostüm – ich hatte fast gesagt: beklagenswert gut aus. Ihr Körper war schlank und stark wie eine Stahlfeder. Der junge Boor mußte ein Idiot sein, wenn er sich Lisbeth entschlüpfen ließ.
Zwei Stunden später hielt der Zweisitzer vor der Gartenpforte, und meine hoffnungsvolle Tochter sprang heraus. Ich hatte es so eingerichtet, daß ich gerade in diesem Augenblick eifrig im Garten beschäftigt war, und befand mich daher – rein zufällig selbstverständlich – in der Nähe der Pforte.
Lisbeth winkte mir zu und wollte vorbeihuschen, aber ich hielt sie zurück.
„Willst du deinen Freund nicht bitten, hereinzukommen, Lisbeth? Es ist doch nicht angenehm für ihn, im Wagen auf dich zu warten.“
Lisbeth machte ein Gesicht, als gefalle ihr das nicht recht. Aber sie konnte ja schließlich keine Ausflüchte machen. Und so ging sie zum Auto, verhandelte mit dem jungen Boor und kehrte mit ihm zurück. Sie stellte ihn korrekt und manierlich vor. Und ich war ebenso manierlich und korrekt und bat Herrn Boor, drinnen im Hause auf Lisbeth zu warten.
Wir setzten uns ins Wohnzimmer. Ich bot ihm eine Zigarette an und fragte, ob er ein Glas Limonade trinken wolle. „Alkohol will ich Ihnen nicht anbieten, denn Sie fahren ja nachher Auto“, sagte ich mit dem liebenswürdigen Lächeln einer Hausfrau.
Er lehnte die Limonade dankend ab. Ich hatte das Gefühl, daß er einen Kognak nicht abgelehnt hätte.
Zu dumm, daß Heming nicht zu Hause war! Jetzt wäre die Gelegenheit günstig für ihn gewesen, sich von Lisbeths Verehrer eine Meinung zu bilden. Erling Boor war glatt und höflich. Etwas zu glatt und etwas zu höflich.
„Sähe man es nicht an der Ähnlichkeit, gnädige Frau, würde ich nie geglaubt haben, daß Sie Lisbeths Mutter sind!“ Er lächelte auf eine gewinnende Art, und ich konnte es wohl verstehen, daß ein solches Lächeln das Herz eines jungen Mädchens betört. „Ich hätte wetten mögen, Sie seien Lisbeths Schwester, und ich würde nicht einmal sagen können, welche von Ihnen die jüngere ist.“
Sein Kompliment machte auf mich keinen Eindruck. Aber etwas anderes fiel mir auf. Lisbeth hatte zum erstenmal in ihrem Leben offensichtlich verschwiegen, daß sie ein Adoptivkind ist. Ich öffnete den Mund, um zu antworten – aber in der letzten Sekunde spürte ich, daß es falsch war, ihn aufzuklären, und ich schwieg. Lisbeth brauchte gerade im Zusammenhang mit ihm Eltern als Rückhalt, wirkliche Eltern. Mochte sie unsere Familienverhältnisse
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