Lisbeth 02 - Ein Mädchen von 17 Jahren
ich habe ja keinen – und dann noch Nerz – so eine verrückte Frage – aber er war doch sehr lieb, als er das sagte. – Mutti, findest du nicht auch, daß es sehr flott aussieht, wenn ein Mann einer Dame die Hand küßt? Und er sagte, ich hätte eine so süße kleine Hand, und er fragte, ob ich nie einen Ring trüge! Du, Mutti, darf ich mir einen Ring von ihm schenken lassen? Würdest du das sehr sonderbar finden? Du hast ja auch nichts gesagt, als Morten mir die Armbanduhr schenkte.“
Ich hörte mit klopfendem Herzen zu.
„Sag mal, Mutti“, fuhr Lisbeth fort, „warst du noch ungeküßt, als du siebzehn Jahre alt warst? Ich bin es nämlich nicht, weißt du. – Denke dir, als ich geboren wurde, warst du genauso alt, wie ich jetzt bin. Damals wußtest du nicht, daß du mich zur Tochter bekommen würdest. Ich möchte wohl wissen, wie alles geworden wäre, wenn nicht Vater – ich meine mein erster Vater – gestorben wäre. Ich hatte ihn furchtbar lieb. Ich habe Vati auch furchtbar lieb, aber darum habe ich Vater doch nicht vergessen.“
Lisbeth sprach jetzt sehr undeutlich, und bei dem letzten Satz wurde ihre Stimme von Tränen erstickt. Mir lief es kalt über den Rücken.
„So, meine Kleine, jetzt gehen wir zu Bett. Es ist zwei Uhr, und um halb acht mußt du aufstehen. Komm.“
„Nenne mich nicht Kleine, Mutti.“ Sie war kaum noch zu verstehen.
Ich hätte weinen mögen, als ich, den Arm um ihre Schultern gelegt, mit ihr nach oben ging. Sie lehnte sich eng anmich. Mein kleines Mädchen! Wie sie mich jetzt brauchte! Noch nie hatte sie meiner so sehr bedurft.
Den Gedanken an die Auseinandersetzung, die folgen mußte, schob ich von mir. Ich hatte etwas Zeit zum Aufatmen gewonnen. Der Taugenichts sollte verreisen.
Wenn das Schiff bloß in der Nordsee einen Maschinendefekt bekommen und auf unbestimmte Zeit an Ort und Stelle herumtreiben wollte! Wenn der junge Boor sich doch bei einem Bummel in England das Bein brechen, in ein englisches Krankenhaus begeben und sich mit einer englischen Krankenschwester verloben wollte!
Lisbeth stolperte auf der Türschwelle.
„Ich bin wohl etwas beschwipst, Mutti“, murmelte sie mit einem um Entschuldigung bittenden Lächeln.
„Es sieht beinahe so aus“, sagte ich. „Komm! Ich werde dir das Kleid aufknöpfen.“
„Kleider mit Knöpfen auf dem Rücken sind so unpraktisch“, murmelte Lisbeth.
Sie schlief schon, als ich die Bettdecke über sie breitete.
„Hast du gehört, wann Lisbeth nach Hause gekommen ist?“ fragte Heming.
„Ja“, sagte ich. „Ich war unten und nahm sie in Empfang. – Heming, ich bin so erleichtert! Erling Boor verreist!“
„Gratuliere. Möge er auf immer fortbleiben! Aber sag mal, wann kam sie…“ Er brach ab, sah mich an, wandte sich um und blickte in den Spiegel. Er schien von dem Umbinden des Schlipses völlig in Anspruch genommen zu sein.
Da begegneten sich unsere Augen im Spiegel. Er lächelte.
„Ich werde dich schonen. Mir etwas vorlügen willst du nicht und mir erzählen, wann Lisbeth nach Hause kam, willst du auch nicht. Stimmt’s?“
„Heming, es ist schrecklich, mit dir verheiratet zu sein! Du liest in mir wie in einem offenen Buch!“
Der Schlips saß, wie er sitzen sollte, Heming drehte sich um und gab mir einen Kuß.
„Sein Lieblingsbuch kennt man in der Regel auswendig“, sagte Heming. „Soll ich jetzt über unser kleines Mädchen Gerichtstag halten? Was meinst du?“
„Ich weiß es nicht“, sagte ich, und ich wußte es tatsächlich nicht. Heming zog die Jacke an.
„Ist es Bequemlichkeit oder Feigheit oder vernünftige Pädagogik, wenn wir keinen Ton sagen?“
Mir fiel ein Stein vom Herzen.
„Vernünftige Pädagogik“, stellte ich fest. „Sorgen wir dafür, daß Lisbeth es jetzt, wo das Fahrwasser frei ist, so schön wie nur möglich hat! Suchen wir ihr klarzumachen, daß das Leben auch ohne flotte Automobile, elegante Soupers und Verehrer wie Erling lebenswert ist.“
„Gut“, sagte Heming. „Also kein böses Wort. Hilf mir, bis zehn zu zählen, wenn es mir gar zu sehr in den Fingern juckt.“
„Ich habe in der letzten Woche mindestens bis zu einer Million gezählt“, seufzte ich.
Die Unterhaltung am Frühstückstisch wurde in der Hauptsache von Peik bestritten. Lisbeth war blaß und aß wenig, machte aber wiederholte Angriffe auf den Milchkrug.
„Bist du gestern in dem tollen Auto gefahren, Lisbeth?“ erkundigte sich Peik.
„Ja“, sagte Lisbeth.
Peik dachte lange und
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