Lisbeth 02 - Ein Mädchen von 17 Jahren
länger.
Morten, der keinen Radioapparat sehen kann, ohne an den Knöpfen zu drehen, machte sich ungeniert über unser Gerät her und ruhte nicht eher, als bis er eine verrückte Jazzkapelle erwischt hatte.
Da läutete das Telefon. Es war ein andauerndes, aufdringliches Läuten. Ich nahm den Hörer ab. „Ferngespräch für Fräulein Skar.“ Großer Gott! Unser kleines Mädchen war jetzt ein Fräulein geworden! Von wo, in aller Welt, rief der Bursche wohl an? Es konnte ja niemand anders sein als der junge Boor, denn wer sonst wohl kam auf den Gedanken, ein Ferngespräch für „Fräulein“ Skar anzumelden?
Lisbeth hatte hektisch rote Rosen auf den Wangen. Morten schaltete den Radioapparat aus. Marianne blieb mit einer Tasse in der Hand und mit erhobenem Kopf stehen. Peik, der zur Abwechslung neben dem Hundekorb niedergekniet war und Tass eine lange Rede hielt, verstummte und verharrte regungslos, ohne die Hand von dem Nacken des Hundes fortzunehmen. In ,Paneuropa’ wurde es still. Das ganze Haus lauschte. Ein Ferngespräch für Lisbeth.
Nervös ergriff Lisbeth die Hörmuschel: „Hallo – hallo – Ja, ich bin am Apparat – Hallo – Ich höre nichts. – Scheußlich – Ja, jetzt höre ich dich – Nein, es rauscht so – Bist du schon weit? – Du mußt lauter reden – Bist du schon angekommen? – Du mußt lauter sprechen – Ja, natürlich – Doch ist es wahr – Ja, danke, fein – gleichfalls – sicherlich – Ja, immerzu, kannst du glauben – den ganzen Tag----
Nein, da schlafe ich – Doch, manchmal. – Nein, das mußt du selber wissen – Bist du verrückt? – Glaubst du, ich wage das? – Nein, das kann ich nicht sagen – Nein, nicht jetzt – Nein, Erling, nicht jetzt – Ja – Ja – Ja! – Glückliche Reise weiterhin! Auf Wiedersehen – Nein, das mußt du sagen - Auf Wiedersehen----“
Das Haus erwachte aus seinem Dornröschenschlaf. Marianne stellte die Tasse auf den Tisch, Morten drehte am Radio. Peik streichelte Tass, und von „Paneuropa“ drang der Klang gedämpfter Stimmen herüber. Einen Augenblickspäter kehrten die beiden Pädagogen, vom Kaffeeduft angelockt, in das Wohnzimmer zurück.
„Nun, Lisbeth? – Weißt du, an wen du mich erinnerst?“
„Glücklicherweise nein“, sagte Lisbeth.
„An den Kontorchef, der so furchtbar laut sprach. ,Was ist denn mit ihm los?’ fragte der Direktor. ,Er spricht mit London’, sagte die Sekretärin. ,Weshalb benutzt er denn da nicht das Telefon?’ sagte der Direktor.“
Nils Sunde und Marianne lachten.
„Ich vermisse deine Zustimmung, Morten“, sagte Heming.
„Ha!“ sagte Morten. „Das sagte nämlich mein Großvater auch, als er die Geschichte zum erstenmal hörte.“
„Erkläre mir bloß eines, Skar“, erkundigte sich Nils Sunde grinsend. „Ist dies der übliche Ton auf eurer Schule?“
„Gott bewahre!“ sagte Heming. „Nur in unserem Hause.“
„Vati und Mutti sind nämlich nicht alt genug, um große Kinder zu haben“, warf Lisbeth ein. „Sie sind gleichzeitig zu jung und zu alt. Eine verfluchte Situation.“
„Lisbeth, die Grenzen sind in unserem Hause ziemlich weit gesteckt, wie du weißt, aber bei ,verflucht’ liegt die Grenze unbedingt.“
„Auf welcher Seite von ,verflucht’?“ fragte Lisbeth unerschütterlich.
Heming sank neben Marianne auf einen Stuhl. „Ich suche bei dir Trost, Marianne“, seufzte er, „Lisbeth wird nicht ein Nagel zu meinem Sarge, sie wird der ganze Deckel. Deine sanfte Fraulichkeit muß die Sorgenfalten ausbügeln, die meine Tochter in meine Stirn eingegraben hat. Mit wem hast du übrigens gesprochen, Lisbeth?“
„Mit einem meiner Freunde. Er rief von der Nordsee aus an. Übrigens ziemlich schlechte Verbindung.“
Der Klang in ihrer Stimme war so unecht, daß ich ihn ekelhaft gefunden hätte, wenn er nicht im Grunde so lächerlich gewesen wäre.
Ich warf Heming schnell einen Blick zu.
„Wie viele Stücke Zucker, Heming?“ beeilte ich mich zu fragen. „Eins – zwei – drei-----“
„… vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn“, fiel mir Heming ins Wort. „Danke, keinen Zucker, Steffi.“
Es gab noch mehr Leute, die Mariannes sanfte Fraulichkeit bemerkten. Nils Sunde setzte sich neben sie, und die beiden plauderten gedämpft und gemütlich auf dem Sofa, während Morten und Lisbeth freundschaftlich und eifrig miteinander am Radioapparat stritten.
Dann wurde es Zeit für Peik, ins Bett zu gehen. Er machte feierlich die Runde und sagte gute Nacht. Bei
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