Lisbeth 02 - Ein Mädchen von 17 Jahren
ließ ihre Arbeit halb vollendet liegen. Plötzlich konnte sie ganz ausgelassen sein, spielte voller Eifer mit Peik, sang und trällerte – und kurz darauf war sie stumm und beinahe mürrisch. Manchmal sprach sie wie im Fieber, zu anderen Zeiten war sie so geistesabwesend, daß wir sie zwei- oder dreimal fragen mußten, um eine Antwort zu bekommen. Läutete das Telefon, so war Lisbeth so schnell wie der Blitz am Apparat und nahm den Hörer ab. Sie hattenicht die schwierige Kunst der Verstellung gelernt. Wie eine Fanfare rief sie: „Hier Skar!“ – Während ihre Stimme ganz schwach und wie erloschen klang, wenn sie sagte: „Einen Augenblick, bitte – Vati, es ist für dich“, oder „Oh, guten Tag, Berit!“
Wenn sie zu ihrer Reitstunde aufbrach, sah sie aus, daß es fast unnormal war. Die Nägel waren manikürt, ihr Reitkostüm glänzte förmlich. Jedesmal zog sie eine reine Hemdbluse an, während sie früher bloß gesagt hatte: „Ach was, ich knöpfe ganz einfach die Jacke zu, dann sieht niemand die Bluse!“ Und diese kunstvolle Frisur! Bisher hatte sie sich einfach ein Band um den Kopf gebunden. Oft hatte ich ihr diese Gleichgültigkeit gegen ihr Äußeres sanft vorgeworfen; aber dann hatte sie mich immer schnell einmal herumgedreht, mir den Arm gedrückt und gesagt: „Mutti, mein Haar sieht ja doch wie ein Krähennest aus, wenn ich erst zwei Minuten auf dem Pferde gesessen habe!“
Jetzt sehnte ich mich inbrünstig nach einem klein bißchen gesunder Nachlässigkeit. Ich hätte mich gefreut, wenn ich sie in einer zerknitterten und nicht mehr ganz reinen Bluse gesehen hätte. Aber nein! Lisbeth war eine Dame geworden. Schrecklich!
Ein paarmal kam sie zu normaler Zeit mit dem Autobus nach Hause. Eines Abends aber fuhr der Zweisitzer wieder vor der Gartenpforte vor, und eine höchst vergnügte Lisbeth mit glühenden Wangen stieg aus.
„Mutti!“ sagte sie. „Könnte ich wohl fünf Kronen als Vorschuß auf mein Taschengeld bekommen?“
„Bist du schon wieder bankrott, Lisbeth?“
„Ja, leider – und ich möchte mir etwas unbedingt kaufen – weißt du, ich gehe morgen abend aus und…“
Großer Gott! Also doch wieder!
„Ruhig, Steffi!“ sagte ich zu mir selber. „Sprich jetzt kein unüberlegtes Wort! Bewahre dir um Gottes willen Lisbeths Vertrauen!“
„Warum nicht? Zwanzig Kronen können wir wohl locker machen“, sagte ich und holte meine Tasche. Derartige Ersuchen von Lisbeths Seite gehörten durchaus nicht zu den Seltenheiten.
„Ist es indiskret, wenn ich dich frage, worin du das Kapital anlegen willst?“ fragte ich. Ich bemühte mich, den leicht spöttischen, aber gutmütigen Ton beizubehalten, den Lisbeth seit je an mir gewöhnt war.
„Nagellack“, sagte Lisbeth.
„Ah – so?“ sagte ich. „Glaubst du, er steht dir?“
Die Fingernägel hatten nämlich mit Lisbeths sonst so stürmischer Entwicklung zu einer Dame nicht Schritt halten können. Sie waren noch immer treuherzig kurz geschnitten, und alles eifrige Bürsten und Reinigen hatte sie nicht völlig von den Spuren der Gartenarbeit und des Motorrades zu befreien vermocht.
„Du meinst ja selber, Nagellack wäre ganz nett, wenn man abends ausginge…“
„Tja – wenn du eine hübsche und diskrete Farbe findest, so…“
„Ingrid Henningsen hat auch in der Reitschule hochrote Fingernägel!“
„Wer ist Ingrid Henningsen?“
„Natürlich eine aus der Quadrille.“
Ich brauchte nicht mehr zu fragen. Lisbeths Tonfall sagte alles. Sie war bis zum Überlaufen voll von Eifersucht. Ich segnete die unbekannte Ingrid Henningsen und wünschte ihr, sie möchte dem jungen Boor so erfolgreich den Kopf verdrehen, daß er mein kleines Mädchen darüber vergaß.
„Du kannst dir ja mal den Lack ansehen, den ich auf dem Frisiertisch stehen habe. Vielleicht kannst du die Ausgabe für eine neue Flasche sparen.“
Lisbeth strahlte.
„Du bist doch sehr verständnisvoll, Mutti!“
„Danke, meine Kleine. Kann ich das bitte schriftlich bekommen?“
Lisbeth lachte. Es war etwas Kurzatmiges, Gespanntes, Warmes an meinem jungen Mädchen.
„Was für ein Unfug soll dann morgen angestellt werden?“
„Theater. Und hinterher Souper.“
„Die ganze Rotte von der Reitstunde?“
„Aber nein! Bloß Erling und ich.“
Dieser verflixte Erling! Da blickte ich voller Hoffnung auf Ingrid Henningsen, und dennoch hatte der Bursche Lisbeth zu einem Theaterabend mit anschließendem Souper eingeladen! Natürlich spielte er die beiden
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