Lisbeth 02 - Ein Mädchen von 17 Jahren
wie falsche Musik.
„Welch niedliches Armband Sie unserer Tochter mitgebracht haben, Herr Boor!“ sagte ich. „Es ist nur gar zu elegant für ein junges Mädchen.“
„Nicht der Rede wert, gnädige Frau. Nur ein kleines Reiseandenken…“
Die Augen des jungen Schiffsreeders schätzten mich schnell ab.
Er witterte die Lage. Wir schwiegen – ein unbehagliches Schweigen.
Gottlob! An der Gartenpforte wurden frohe und wohlbekannte Stimmen vernehmbar.
„Hei!“ sagte Heming. „Das ist fein! Da hätten wir drei Katzen beieinander!“
„Katzen?“ Erling Boor schaute fragend auf.
„Die grauen Katzen“, erklärte ich. „Lisbeths und unsere gemeinsamen Freunde. Sie gehen hier wie graue Katzen aus und ein.“
Ich winkte ihnen durch das Fenster zu. -
„Ich stieß hier in der Nähe zufällig auf Nils und Marianne“, erklärte Morten. „Und da wurden wir uns einig, euch aufzusuchen. Wir haben nämlich alle drei Appetit auf etwas besonders Gutes! Hast du etwas zu Hause, Steffi?“
„Es wird wohl nichts weiter übrigbleiben, als meine fetteste Konservendose zu schlachten“, lachte ich. „Kommt herein, Kinder! – Darf ich vorstellen…?“
Wie mir Marianne schon erklärt hatte, hatte sie Erling Boor als kleinen Jungen kennengelernt. Es sah aber nicht so aus, als erinnere er sich daran, und in seiner Miene war auch nichts zu lesen, als er ihren Namen hörte. Das war im Grunde genommen gut.
Unser Sohn fand sich erst kurz vor dem Abendessen ein. Er trug alle Spuren eines soeben überstandenen Kinderfestes – Schokolade rings um das Mäulchen und auf der Matrosenbluse, Cremeflecke auf der Hose und Löcher auf den weißen Strumpfknien. Nils und Morten begrüßte er nach Männerart, Marianne aber genoß den seltenen Vorzug, mit einer flüchtigen Umarmung bedacht zu werden. Dann wandte er sich Erling Boor zu und packte seine ganze eisgekühlte Bildung aus.
„Wie alt bist du denn?“ fragte Boor.
„Sechs und ein halbes Jahr“, sagte Peik höflich.
„Gehst du schon zur Schule?“
„Ich soll zum Herbst beginnen“, antwortete Peik.
Erling Boor machte ein ratloses Gesicht. Sein Gesprächsstoff, soweit er sich bei einem Sechsjährigen verwenden ließ, war erschöpft.
Eine unheimliche Erinnerung tauchte in meinem Innern auf: Carl Lövold und die siebenjährige Lisbeth. Er hatte denselben Tonfall gehabt, hatte dieselben Fragen gestellt und dieselben höflichen, aber kühlen Antworten bekommen. Carl Lövold, den ich damals heiraten wollte – und vor dem mich Lisbeth bewahrt hatte. Meine Augen glitten zu Heming hinüber.
Peik erklärte, er wolle nichts zu Abend essen, und niemand nötigte ihn. Seine Appetitlosigkeit war ein Beweis dafür, daß er bei seinem Freund Jan alles bekommen hatte, was er brauchte.
„Willst du schon zu Bett gehen, Peik“, fragte Nils.
„O nein“, sagte Peik. „Es ist ja heute Samstag. Da darf ich bis neun aufbleiben.“
„Was hast du denn vor?“
Peik sandte einen sehnsüchtigen Blick durch das Fenster. Dann betrachtete er forschend Erling Boor, wandte sich aber doch an Nils: „Ich könnte vielleicht aufpassen, daß niemand das Auto anfaßt, während ihr eßt.“
Es folgte eine Pause. Der Autobesitzer reagierte nicht.
„Ich meine, ich könnte ja im Auto sitzen und aufpassen, daß keiner von den Jungen zu nahe herankommt – und wenn einer kommt, dann könnte ich ja auf die Hupe drücken, so daß Herr Boor es hört.“
„Herr Boor!“ sagte Peik. Auch Lisbeth hatte damals Carl nur „Herr Lövold“ genannt.
Herr Boor hörte absolut nicht.
Die Pause erfüllte die Luft. Wir warteten. Und wir warteten vergebens.
„Nein, weißt du was, Peik“, sagte Morten. „Ich glaube fast, es wäre besser, wenn du mir einen Dienst erweisen würdest. Willst du so nett sein? In der Tasche an meinem Motorrad liegt ein verstellbarer Schraubenschlüssel – Du weißt doch, wie er aussieht? – Also schön. Glaubst du, du könntest mir den Sattel abschrauben? Er steht nämlich schief. Eine Feder ist nicht in Ordnung. Wenn du damit fertig bist, könntest du den ganzen Sattel herbringen. Willst du das für mich tun, Peik?“
„Klar!“
Peik strahlte über sein ganz mit Schokolade beschmiertes Gesicht, und ich – ich konnte es nicht unterlassen, Morten, ohne daß die andern es sahen, geschwind einmal über das Haar zu streichen -
„Wir kriegen jetzt eine Wohnung“, sagte Nils beim Abendessen. „Wir haben Schwein gehabt! Zwei Zimmer, Bad und Küche in einem Haus, das
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