Literaturgeschichte der USA
Poe
(1809–1849), der sich besonders der dunklen und abartigen Seite des menschlichen Geistes verschrieb. Poe, der nach dem Tod seiner Eltern von einem Händler aus Richmond teilweise in England großgezogen wurde, brach sein Studium der Rechtswissenschaft ab und schlug gegen den Willen seines Ziehvaters eine Laufbahn als Literat ein. Seine frühen Kurzgeschichten erhielten Preise, die ihm zu Anstellungen bei literarischen Magazinen verhalfen, wo Poe zahlreiche Rezensionen, Essays, Gedichte und Kurzgeschichten publizierte.
Besonders in seinen Kurzgeschichten wird sein Hang zum Düsteren, Morbiden und Abnormen deutlich, der sich in makabren und bizarren Themen niederschlägt. Lebendig begraben zu sein, Wiederkehr der Toten, Stürze in die Tiefe und sogar Nekrophilie sind die Ingredienzien seiner Erzählungen. In der Kurzgeschichte «The Tell-Tale Heart» (1843) tötet der Icherzähler seinen Vermieter, dessen körperlicher Defekt ihn zu dieser Tatgetrieben hat. Nachdem er dessen Leiche zerstückelt unter dem Fußboden versteckt hat und anschließend von der Polizei über den Verbleib des Alten befragt wird, glaubt der Mörder den Herzschlag des Toten laut und deutlich unter den Bodenbrettern zu vernehmen. In der Folge in den Wahnsinn getrieben, schreit der Icherzähler schließlich «freiwillig» den Beamten sein Mordgeständnis ins Gesicht.
Mit dieser Anatomie eines abnormen Mordes bzw. der Innenperspektive des Täters begründet Poe das Genre der psychologischen Kriminalliteratur. Aber nicht nur die psychischen Abgründe des Mörders interessieren Poe, auch die geistigen Zustände eines Mordopfers im Angesicht des bevorstehenden Todes verarbeitet er in verschiedenen Erzählungen. So werden die mentalen und körperlichen Qualen des Icherzählers in «The Pit and the Pendulum» (1842) ausführlich behandelt, der im Dunkel eines unterirdischen Verlieses unterschiedlichen Gefahren wie z.B. dem Absturz in einen Brunnen ausgesetzt ist. Zentrales Motiv der Geschichte ist sein bevorstehender Tod durch ein riesiges, mit jedem Schwung dem Gefesselten näher kommendes, messerscharfes Pendel. Poe zeigt in der Innenperspektive die mentalen Zustände in einer Extremsituation und die psychischen Mechanismen, mit dieser Todesangst umzugehen. Er erinnert in dieser Geschichte teilweise an Charles Brockden Browns Roman
Edgar Huntly
, dessen Protagonist ebenfalls im Volldunkel einer Höhle gefangen und der Gefahr des Abstürzens ausgesetzt ist. Neben Brown ist Poe in vielfältiger Weise der englischen und deutschen Romantik (z.B. E. T. A. Hoffmann) und dem Schauerroman des späten 18. Jahrhunderts verpflichtet.
Das psychologische Interesse Poes schließt aber neben Täter und Opfer auch den Detektiv mit ein. In seiner Geschichte «The Murders in the Rue Morgue» (1841) wird ein Mordfall durch den scharfsinnigen Detektiv Auguste Dupin aufgeklärt. Hier geht es Poe nicht um die Überführung eines Mörders gemäß dem klassischen «Who done it»-Schema, sondern um die Exemplifizierung einer analytischen Denkmethode zur Darlegung einer Beweiskette. Die Schlussfolgerungen des Detektivs werdennämlich erst am Ende in Form eines großen Paukenschlags preisgegeben. Der Leser, der sich mit dem naiven Icherzähler und Freund des Detektivs identifiziert, wird somit am Ende der Geschichte auf seine unzulänglichen analytischen (Spuren-)Lesekompetenzen hingewiesen.
Hierin verweist Poe auf erzählerische Stilmittel des zeitgenössischen Filmgenres der sogenannten mind-tricking narratives, wie z.B. M. Night Shyamalans
The Sixth Sense
(1999), die den Zuschauer am Ende des Films darauf hinweisen, dass zentrale Handlungselemente falsch «gelesen» bzw. interpretiert wurden. Der Leser bzw. Zuseher schlüpft dadurch in die Rolle eines Detektivs, der die eigentliche Handlung zu entschlüsseln hat. Poe klassifiziert diese Art der Erzählung als «tales of ratiocination», als «Erzählungen der logischen Folgerung». Durch diese Struktur wird die eigentliche Spannung auf die korrekte Leseart der Indizien gelegt und die Aufklärung des Verbrechens bzw. das Finden des Täters erhält sekundäre Bedeutung. Dies wird auf fast parodistische Weise in der schlussendlichen «Überführung» eines Orang-Utans als «Mörder» in «The Murders in the Rue Morgue» deutlich.
Poes Begeisterung für das Analytisch-Scharfsinnige findet sich auch in seinen literaturtheoretischen Aufsätzen. In «The Philosophy of Composition» (1846) gibt Poe vor, sein Gedicht «The
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