Literaturgeschichte der USA
Stanzel, der Begründer der modernen Narratologie, nennt folgende Passage aus James’ Kurzgeschichte «The Jolly Corner» (1908) als paradigmatisches Beispiel dieser Erzählperspektive:
He always caught the first effect of the steel point of his stick on the old marble of the hall pavement, large black-and-white squares that he remembered as the admiration of his childhood and that had then made in him, as he now saw, for the growth of an early conception of style. This effect was the dim reverberating tinkle as of some faroff bell hung who should say where? – in the depths of the house, of the past, of that mystical other world that might have flourished for him had he not, for weal or woe, abandoned it.[ 75 ]
Er wurde immer des ersten Eindrucks der Stahlspitze seines Stocks auf dem alten Marmorboden des Saals gewahr; große, schwarz-weiße Vierecke, die er als Kind bewundert hatte, und die in ihm, wie er jetzt erkannte, eine frühe Wahrnehmung von Stil schärften. Dieser Eindruck war das vage, widerhallende Bimmeln wie das einer entfernten Glocke, die wer weiß wo hing, in der Tiefe des Hauses, der Vergangenheit, der mystischen anderen Welt, die ihm zu Teil werden hätte können, hätte er sich nicht für Wohl und Wehe davon abgewendet.[ 76 ]
Die detailreichen Schilderungen ohne erklärende Kommentare in James’ Romanen stellen für den Leser eine große Herausforderung dar, da er die Fülle von Einzelbeobachtungen selbstständig zu einem kohärenten Ganzen formen muss. Für den unvorbereiteten Leser «passiert» auf den ersten Blick wenig oder gar nichts, weshalb James’ Werk vielen als langweilig oder langatmig erscheint.
Während der eigenwillige Realismus von Henry James um die Innenwelt der Charaktere kreist, wenden sich die amerikanischen Naturalisten vordergründig den äußeren Lebensumständenvon Romanfiguren zu. Diese teilweise vom Journalismus beeinflusste Strömung fokussiert nun das Milieu als Objekt der realistischen Darstellung.
Stephen Crane
s (1871–1900)
Maggie: A Girl of the Streets
(1893) wird zu einem Paradebeispiel dieses neuen Ansatzes der Wirklichkeitsdarstellung mit eindringlichen Schilderungen desolater Familienverhältnisse, die von Trunkenheit und häuslicher Gewalt gekennzeichnet sind. Die Protagonistin Maggie glaubt diesem Umfeld durch eine Beziehung mit einem Barkeeper zu entkommen, gleitet aber schließlich doch in Prostitution und Selbstmord ab.
Cranes zweiter Roman,
The Red Badge of Courage
(1895), vertauscht das Umfeld urbaner Slums mit den Schlachtfeldern des amerikanischen Bürgerkriegs. Der Soldat Henry Fleming wird nach enthusiastischem Eintritt in die Armee während der ersten Feindberührung im Feld so desillusioniert, dass er desertiert und erst nach längerem Umherirren im Wald wieder zu seiner Einheit zurückkehrt. In der impressionistischen Betonung der Wahrnehmung der Kriegsgräuel durch den Protagonisten erinnert Cranes
The Red Badge of Courage
ansatzweise an Henry James’ Interesse an Wirklichkeitserfahrung. Generell ist aber der amerikanische Naturalismus an der deterministischen Funktion von bestimmten Zuständen interessiert. Dieser Determinismus kann sozialdarwinistischer Überlebenskampf mit all seinen Facetten wie Sexualität, Kapitalismus und Konsum sein, der bisher nicht in dieser Schärfe Eingang in die Literatur gefunden hat.
Frank Norris
(1870–1902) begibt sich in seinen sozialkritischen Romanen auf Erkundungsreise in das kapitalistische Amerika des Monopolwesens in
The Octopus: A Story of California
(1901) oder der Fetischisierung des Geldes in
McTeague
(1899). Ebenfalls mit der neuen Konsumgesellschaft des ausgehenden 19. und hereinbrechenden 20. Jahrhunderts setzt sich
Theodore Dreiser
s (1871–1945) Roman
Sister Carrie
(1900) auseinander. Dreiser gelingt es anhand des sozialen Aufstiegs der Protagonistin Carrie als Theaterschauspielerin ein Sittenbild des neuen urbanen Amerikas mit Kaufhaus- und Hotelkultur zu zeichnen. In seiner Anatomie des amerikanischen Konsumzwangeswird Dreisers Roman richtungsweisend für den Modernismus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Neben den weiblichen Hauptfiguren, welche die Romane des ausgehenden 19. Jahrhunderts bei männlichen Schriftstellern dominierten, wendeten sich verstärkt auch die Autorinnen über ihre Hauptfiguren feministischen Anliegen zu. Hierzu gehören die Romane
Kate Chopin
s (1851–1904), die in
The Awakening
(1899) das Bild einer in allen Bereichen kompromisslosen weiblichen
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