Literaturgeschichte der USA
einem eigenen Aufsatz zum Paradigma des neuen Erzählens im Roman stilisierte. Interessant ist hierbei, dass James sich durch den hochbürgerlichen Schauplatz seiner Romane zwar Howells Doktrin der Alltagssituation weitgehend entzog, aber in anderen Aspekten wie in der Privilegierung der Charakterisierung und in der Rücknahme der Erzählerstimme zugunsten einer dramatischen Erzählweise des Zeigens ganz seinen Anforderungen entsprach.
Henry James wurde als Spross einer wohlhabenden amerikanischen Familie großteils von Privatlehrern und später in Schulen in Paris, Genf und Bonn in Europa erzogen. Nach einem Jahr an der Harvard Law School entschloss sich James, angeregt durch William Dean Howells und andere, eine Schriftstellerkarriere einzuschlagen. In dieser Zeit erschienen seine ersten Rezensionen und Essays in Howells
Atlantic Monthly
. Einen Großteil seines Lebens verbrachte James dann in Europa, wo er mit den großen Autoren des Realismus und Naturalismus wie Ivan Turgenev, Gustave Flaubert und Émile Zola einen regen Austausch pflegte. Nach 21-jähriger Abwesenheit kehrte James 1904 als gefeierter Autor in die USA zurück.
Sein Werk ist vor allem durch den von ihm selbst erlebten Kulturkontakt zwischen Amerika und Europa geprägt. Interessanterweise projiziert James diesen Akkulturationsprozess besonders gerne auf junge weibliche Protagonistinnen seiner Romane wie Isabel Archer in
The Portrait of a Lady
(1881) oder Daisy Miller in der gleichnamigen Novelle von 1878. Immer wieder kommen erfahrungsarme junge amerikanische Frauen mit der ihnen unvertrauten und daher verführerischen europäischen Kultur in Form von geschliffenen und versierten männlichen Figuren in Konflikt. Ein gutes Beispiel ist Isabel Archer in
The Portrait of a Lady,
eine durch Erbschaft zu Reichtum gekommene junge Amerikanerin, die mehrere ernstgemeinte Heiratsanträge ablehnt, um ihre persönliche Unabhängigkeitzu wahren. Sie fällt aber schlussendlich auf die europäische Raffinesse Gilbert Osmonds herein. Erst als seine Ehefrau durchschaut Isabel sein vermeintliches Interesse an ihr als pure Geldgier und erkennt sich nun als seine Ehefrau in ihrer Entscheidungsfreiheit eingeschränkt.
Henry James thematisiert in diesen Sittenromanen die langtradierte europäische Etikette, die dem weniger geschichtsträchtigen Amerika zur Falle wird. Seine naiven amerikanischen Protagonistinnen erkennen die Ausgehöhltheit dieser europäischen Umgangsformen nicht und verwechseln die Sittenhülsen mit moralischer Integrität. In diesem Spannungsfeld von Manieren und Moral sind eine Vielzahl von Protagonisten der Romane von Henry James angesiedelt.
Neben dieser moralisch-kulturspezifischen Dimension zeichnet sich das Werk von Henry James durch eine eigenwillige und konsequente Form des Realismus aus. James ist besonders an der Art und Weise interessiert, wie das Bewusstsein Sinneseindrücke verarbeitet und daraus Erfahrung erzeugt. Es geht James also in seinen Romanen nicht um die wirklichkeitsgetreue Abbildung von Realität, sondern um die realistische Wiedergabe der
Verarbeitung
von Sinneseindrücken. Damit ist klar, dass James gegenüber anderen Realisten einen Schritt weitergeht, der sich zwangsläufig in einem eigenwilligen Schreibstil niederschlägt. So wie die Figuren seiner Romane mit den äußeren Sinneseindrücken direkt und auf sich gestellt konfrontiert sind, so sind auch wir als Leser im Leseprozess diesem Erfahren kommentarlos ausgesetzt. James versucht, den Leser am Bewusstseinsprozess der Figuren ohne zwischengeschaltete erklärende Erzählerinstanz teilhaben zu lassen. Es geht ihm in
seinem
Realismus um eine wirklichkeitsgetreue Sichtbarmachung von Beobachtungsströmen. Figur und Leser müssen auf ähnliche Weise Sinn oder Bedeutung aus den sensorischen Daten herauslesen, wobei beide scheinbar unbeeinflusst mit diesen Eindrücken konfrontiert werden. Diese erzähltechnische Eigenart macht James durch den Einsatz einer neu entwickelten Erzählperspektive möglich, welche die Bewusstseinszustände einer Person abbildet und in der dritten Person wiedergibt. Diese Innenperspektive,die traditionellerweise in Form einer Icherzählung des Protagonisten wiedergegeben wird, erfolgt bei James in der dritten Person, also in einer sogenannten personalen Erzählsituation. Damit wird trotz einer innenperspektivischen Darstellung eine gewisse Distanz zum Protagonisten gehalten und die Identifikation des Lesers mit der Figur verfremdet. Franz
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