Literaturgeschichte der USA
aus diesen genannten Gründen auf vielfältige Weise ein typisches Werk des Modernismus.
Neben O’Neill hat am Beginn des 20. Jahrhunderts
Susan Glaspell
(1876–1948) als Mitbegründerin der
Provincetown Players
einen entscheidenden Beitrag zur eigentlichen Etablierung des Dramas geleistet, indem sie den späteren großen Namen des amerikanischen Dramas – wie Eugene O’Neill – Aufführungen ermöglichte. Glaspells eigene frühe Stücke sind aus heutiger Sicht besonders aufgrund ihrer geschlechterspezifischen Anliegen höchst relevant, haben aber zur Entstehungszeit keinen so unmittelbaren Einfluss auf die Entwicklung das dramatischen Genres ausgeübt wie die ihrer männlichen Kollegen.
Bemerkenswert und erst am Ende des 20. Jahrhunderts durch die feministische Literaturwissenschaft wieder ins Rampenlicht gerückt ist Glaspells Stück
Trifles
(1916). Zentrale und zugleich abwesende Figur in diesem Einakter ist Minnie, die Ehefrau eines Mordopfers. Zwei Frauen erkennen am Tatort aufgrund ihres «weiblichen» Blickwinkels die wahren Hintergründe und Motive der Tat. Im Gegensatz zu den Männern am Tatort sind die beiden Frauen in der Lage, bestimmte Spuren im Haus so zu lesen, dass es für sie klar wird, dass die Ehefrau Minnie von ihrem Mann unterdrückt wurde und sie ihn daher ermordet hat. Während die Männer in den «männlichen» Domänen des Hauses wie Schlafzimmer und Schuppen nach Spuren des Mörders suchen, gelingt es den beiden Frauen in der Küche, in der nach Aussage der Männer nur «kitchen things» vorhanden sind, zwei wichtige Hinweise auf die Tat und deren Motiv zu finden. Erstes Indiz ist eine halbfertige Decke, die plötzlich unsorgfältige Nähte aufweist, die nicht in das Gesamtbild des sonst perfekten Quilts der Ehefrau passen. Die zweite Beobachtung der Frauen ist ein toter Kanarienvogel, der im Nähkästchen liegt. Den beiden Frauen wird schrittweise klar, dass der Ehemann den Singvogelerdrosselt haben muss, woraufhin die Frau, die sich mit dem eingesperrten Tier identifiziert hat, den Mann auf eben diese Weise tötete. Am Ende des Stücks beseitigen beide Frauen die Spuren, die zu Minnie als Mörderin führen könnten.
Glaspells Einakter spielt mit dem Konzept des Textes bzw. hier der Textur oder dem Textil. Die weiblichen Leserinnen des «Textes» der Decke lesen die Handlungsfäden auf ganz andere Weise als die professionellen männlichen Ermittler. Glaspells Stück wird – ähnlich wie Gilmans «The Yellow Wallpaper» mit seiner doppelten Bedeutung von «paper» als Tapete und Text – zu einer Allegorie des geschlechtsspezifischen Lese- und Wahrnehmungsprozesses. Trotz der weit in die Zukunft weisenden Thematik dieses Kurzdramas verschwindet Glaspell in der Breitenwirkung hinter den bekannten Dramatikern ihrer Epoche.
Neben Glaspell und O’Neill gehört
Elmer Rice
(1892–1967) zu den drei großen Erneuerern des amerikanischen Theaters nach dem Ersten Weltkrieg.
The Adding Machine
(1923) steht am Beginn des expressionistischen Theaters in den USA. Hauptfigur des Stücks ist Mr. Zero, der nach 25 Jahren als guter Angestellter statt eine Beförderung zu erhalten durch eine mechanische Rechenmaschine ersetzt werden soll. Außer sich vor Wut tötet Mr. Zero seinen Vorgesetzten, wird dafür zum Tode verurteilt und hingerichtet, um dann im Jenseits in den «Elysian Fields» selbst an einer Rechenmaschine zu arbeiten.
Während
The Adding Machine
auf der Inhaltsebene eine Abrechnung mit der puritanischen Arbeitsethik à la Benjamin Franklin darstellt, benützt Rice expressionistische Elemente im Bühnendesign und eine maskenhafte Charakterisierung der handelnden Figuren. Dabei erinnert das Stück an die antike Dramenpraxis oder die mittelalterlichen Allegorien von menschlichen Tugenden und Untugenden. Mit seinem nihilistischen Plot, den persönlichkeitsleeren Figuren und der sinnlos anmutenden Ausrichtung des Geschehens nimmt
The Adding Machine
bereits in den 1920er Jahren Aspekte des absurden Theaters aus der Mitte des 20. Jahrhunderts vorweg. Andererseits weist das Stück aufgrund der sozialökonomischen Grundproblematik in Richtung des sozialen Dramas der 1930er Jahre.
Wie auch das Drama O’Neills gezeigt hat, stand das Projekt der Moderne am Beginn des 20. Jahrhunderts in enger Wechselwirkung zum Afrikanischen, das in seiner Ursprünglichkeit eine Vorbildwirkung ausübte. Maler wie Pablo Picasso, die nicht nur auf die Bildende Kunst prägend einwirkten, sondern auch auf die
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