Literaturgeschichte der USA
jeweiligen Versuchen, Wahrnehmung darzustellen oder, wie in Faulkners Fall, Wahrnehmung extrem zu verfremden. Das Lesen der «Benjy-section» führt zu einem Verfremdungseffekt – einem ständigen Aha-Erlebnis die Frage betreffend, wie Wahrnehmung eigentlich funktioniert. Es benötigt die Perspektive des Faulkner’schen «Idioten», um uns mit der Nase direkt auf fundamentale Bewusstseinsprozesse zu stoßen.
Auch andere Texte Faulkners, vor allem aber der Roman
As I Lay Dying
(1930), experimentieren mit Erzähltechniken. In diesem Buch werden zum Beispiel 59 Monologe von sieben verschiedenen Familienmitgliedern und anderen Figuren zu einer polyphonen Handlung um einen Leichenzug versponnen. Wie der Großteil seiner Texte spielt auch dieser in der fiktiven Yoknapatawpha County, die von Faulkner zur imaginären Verortung des amerikanischen Südens stilisiert wird. Obwohl Faulkner bereits in den späten 1920er Jahren seine wichtigsten Werke verfasste, gelingt ihm der literarische Durchbruch erst nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Zuerkennung des Nobelpreises für Literatur.
Dass modernistische Literatur nicht unbedingt dieselbe vordergründige Komplexität wie Faulkners Texte aufweisen muss, ja im Gegenteil von fast primitiv anmutender Simplizität sein kann, zeigt das Œuvre
Ernest Hemingway
s (1898–1961). Trotz Nobelpreis und internationaler Anerkennung durch ein breites Lesepublikum sind die literaturwissenschaftlichen Urteile über Hemingway alles andere als homogen. Zur großen PopularitätHemingways, selbst Freiwilliger und verwundeter Sanitäter im spanischen Bürgerkrieg, haben sicher seine den Zeitgeist treffenden Themen wie Krieg und Kriegsverarbeitung beigetragen. Im Großteil seines Werks kehrt Hemingway zu elementaren Extremsituationen des Individuums zurück: Seine Helden sind die Toreros des Stierkampfes in
The Sun Also Rises
(1926) oder einsame, auf sich gestellte Kämpfer gegen Urgewalten wie der Fischer in
The Old Man and the Sea
(1951). Diese Themenwahl und die Tatsache, dass in seinen Romanen kaum Frauen eine Rolle spielen, ließen Hemingway ein leichtes und gerechtfertigtes Ziel feministischer Literaturkritik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts werden. Auf der anderen Seite ließ eben diese Tatsache Hemingway zu einem bevorzugten Objekt der Maskulinitätsforschung am Ende des 20. Jahrhunderts avancieren.
Aus erzähltechnischer Sicht scheint Hemingway auf den ersten Blick gegenüber anderen Modernisten zurückzufallen. Sicher ist aber, dass Hemingway bewusst einfache Erzählstrukturen wählte, die in vieler Hinsicht Anleihen am Medium Film machen. Wenn man sich eine wahllos herausgegriffene Passage aus einem Hemingway-Text, z.B. den Beginn der Kurzgeschichte «The Killers» (1927) näher ansieht, wird klar, dass das Geschehen vermittelt wird, als würde eine Filmkamera unbemerkt und kommentarlos aufzeichnen.
The door of Henry’s lunch-room opened and two men came in. They sat down at the counter.
‹What’s yours?› George asked them.
‹I don’t know,› one of the men said. ‹What do you want to eat, Al?›
‹I don’t know,› said Al. ‹I don’t know what I want to eat.›
Outside it was getting dark. The street-light came on outside the window. The two men at the counter read the menu. From the other end of the counter Nick Adams watched them. He had been talking to George when they came in.[ 99 ]
Die Tür von Henrys Eßlokal öffnete sich, und zwei Männer kamen herein. Sie setzten sich an die Theke.
«Was bekommen Sie?» fragte sie Georg.
«Ich weiß nicht», sagte der eine Mann. «Was willst du essen, Al?»
Draußen wurde es dunkel. Die Straßenbeleuchtung vor dem Fenster ging an. Die beiden Männer an der Theke lasen die Speisekarte. Nick Adams beobachtete sie vom anderen Ende der Theke her. Als sie hereinkamen, hatte er sich mit George unterhalten.[ 100 ]
Der Erzähler tritt fast zur Gänze in den Hintergrund; die Dialoge übernehmen und der Leser ist scheinbar bei der Interpretation der Aussagen der Akteure sich selbst überlassen. Wieder haben wir es mit einer Technik zu tun, die in ihrer Grundprämisse auf Konzepte des realistischen Romans à la Henry James zurückgeht. Hemingways Texte erhalten dadurch etwas Unmittelbares, fast Dramenartiges. Dass sich hinter dieser einfachen Oberfläche teilweise sehr komplexe Tiefenstrukturen verbergen können, haben die Analysen des Literaturwissenschaftlers Max Nänny sehr eindrucksvoll vorgeführt. In einigen Fällen
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