Literaturgeschichte der USA
des Elfenbeinhändlers und monströsen Kolonisten Kurtz noch stärker zu mystifizieren.
Fitzgeralds Roman kreist um Gatsby, der auf dubiose Weise zu Reichtum und Ansehen gelangt ist, und dessen Jugendliebe Daisy, die inzwischen mit dem langweiligen, aber wohlhabenden Tom Buchanan verheiratet ist. Als sich eine neue Affäre zwischen Daisy und Gatsby entwickelt, kommt es zu einem tödlichen Autounfall, bei dem Daisy Fahrerflucht begeht und Gatsby die Schuld auf sich nimmt. Gatsby wird aus Rache für den vermeintlich von ihm begangenen Unfall getötet, während sich Daisy und ihr Mann Tom wieder in den sicheren Hafen ihres Geldes zurückziehen, das die Grundlage für ihre Beziehung darstellt. Als Abrechnung mit dem Sittenbild der amerikanischen Gesellschaft des Jazz Age der 1920er Jahre vor der Weltwirtschaftskrise und gleichzeitige Glorifizierung des amerikanischen Traums vom «self-made man» geht
The Great Gatsby
als neuer Gesellschaftsroman in die Literaturgeschichte ein.
Während Fitzgeralds Zeitgeistdokument des Jazz Age keine politische Stoßrichtung erkennen lässt, ist
John Dos Passos
(1896–1970) mit der Trilogie
U.S.A.
sehr viel klarer positioniert. In den Romanen
The 42nd Parallel
(1930),
1919
(1932) und
The Big Money
(1936) vertritt Dos Passos die Positionen der sogenannten red thirties, d.h. einen linksorientierten, sozial engagierten und mit Kommunismus liebäugelnden politischen und literarischen Aktionismus nach der Weltwirtschaftskrise. Die Trilogie deckt den Zeitrahmen von ca. 30 Jahren von der Jahrhundertwende bis in die frühen 1930er Jahre ab. Neben fiktionalen Figuren, die in einem losen Netzwerk von Verbindungen in den drei Romanen auftauchen, kommen auch historische Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Kunst zum Einsatz.Biographisches von Henry Ford, Isadora Duncan und Woodrow Wilson unterbricht die Handlung der fiktionalen Figuren des Romans. Erzähltechnisch innovativ sind die Romane Dos Passos’ aufgrund des sehr eigenwilligen collage-artigen Einsatzes von Zeitungsschlagzeilen, Liedtexten oder politischen Reden, die als «Newsreels» einen ähnlichen Effekt erzielen sollen wie die Wochenschausequenzen, die den Spielfilmen im Kino der Zeit vorangestellt waren. Eine weitere Besonderheit der Trilogie sind «camera eye»-Passagen, die in einer «stream of consciousness»-Form den subjektiven Blickwinkel eines heranwachsenden jungen Mannes dokumentieren.
Dieses Spiel mit unkonventionellen Perspektiven, das sich bereits durch die Wahl der Nebenfigur in Fitzgeralds
The Great Gatsby
leise angekündigt hat, wird im Hochmodernismus vom Südstaatenautor
William Faulkner
(1897–1962) zum Höhepunkt gebracht. Im Roman
The Sound and the Fury
(1929) verwendet Faulkner vier Personen, die aus vier verschiedenen Blickwinkeln vier verschiedene Zeitfenster im Leben einer Südstaatenfamilie beleuchten. Am herausragendsten und für den Leser die größte Herausforderung ist die sogenannte Benjy-section, die aus der Perspektive des geistig behinderten und jüngsten Familienmitglieds Benjy geschildert wird. Daher rührt auch der Titel des Romans, der Teil eines Shakespeareverses aus
Macbeth
ist: «a tale/Told by an idiot, full of sound and fury»[ 96 ]. Dieser Abschnitt des Romans lässt den Leser unweigerlich in die Rolle eines Detektivs schlüpfen, da Benjy die Welt auf unkonventionelle Art wahrnimmt und diese besondere Wahrnehmung ungefiltert und unerklärt dem Leser weitergegeben wird. Hier ein Beispiel einer Beobachtung Benjys, wobei sich die Frage stellt, was er hier mit seiner limitierten Wahrnehmung verfolgt:
It was red, flapping on the pasture. […] I held to the fence. […] Maybe we can find one of they balls.[ 97 ]
Es war rot und flatterte über dem Rasen. […] Ich hielt mich am Zaun fest. […] Vielleicht finden wir auch einen von deren ihren Bällen.[ 98 ]
Benjy beobachtet ein Golfspiel, wobei ihm weder das Spiel an sich noch die Regeln des Spieles etwas sagen – er registriert einfach die roten Fahnen und die weißen Bälle. Faulkner positioniert sich mit Benjy in einer amerikanischen Tradition unkonventioneller Erzähler, die mit der Figur des Huck Finn begründet wurde. Faulkner führt hier auch die Versuche des Realismus fort, den Leser direkt mit Bewusstsein bzw. der Wahrnehmung der externen Wirklichkeit einer Figur zu konfrontieren. So unterschiedlich Faulkners und Henry James’ Texte in der Wahl ihrer Sujets sind, so ähnlich sind sich hier Realismus und Modernismus in ihren
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