Literaturgeschichte der USA
realen Mordes in
In Cold Blood
(1966) bis in die Gegenwart zur TV-Serie
Dexter
(seit 2006) mit einem Serienmörder als Protagonisten weist.
An postmoderne Techniken knüpfen auch junge Autoren der Jahrtausendwende an.
David Foster Wallace
s (1962–2008) letzter Roman,
Infinite Jest
(1997), der in einer parodistisch-dystopischen Zukunft der USA angesiedelt ist, bedient sich zahlloser Elemente des amerikanischen postmodernen Romans. Überlange Sätze mit teilweise kryptischem Vokabular, mehrere hundert Fußnoten mit Unterfußnoten, mysteriöse Filme, die als Geheimwaffe zur Infantilisierung der Zuseher eingesetzt werden, multiple Handlungsstränge, die in einer mysteriösen Tennisakademie zusammentreffen, verweben Medienkritik mit autobiographischen Versatzstücken des ehemaligen Tennisprofis Wallace. Die zahlreichen Nachrufe auf seinen wahrscheinlich durch schwere Depressionen bedingten Selbstmord im Jahr 2008 attestierten Wallace den Rang einer der wichtigsten literarischen Stimmen Amerikas um die Jahrtausendwende.
Wallaces Zeitgenosse und Weggefährte
Jonathan Franzen
(geb. 1959) bricht bewusst mit dieser an Vladimir Nabokov oder Thomas Pynchon erinnernden Erzähltradition. Sein in realistischer Erzählweise gehaltener Roman
The Corrections
(2001) wurde mit einer Vielzahl von Preisen überhäuft. Dieses Sittenbild einer Familie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stellt Franzen in die Rahmenhandlung eines Weihnachtsfests, bei dem drei von jeweils einem Kind getragene große Handlungsstränge zusammengeführt werden. Franzen war bereits mit seinem Plädoyer «Perchance to Dream» 1996 im
Harper’s Magazine
literaturtheoretisch in Erscheinung getreten, in dem er sich gegenüber ähnlichen älteren Manifesten von Philip Roth, Tom Wolfe oder Flannery O’Connor abgrenzte.
Diese Abkehr von oder Resistenz gegenüber postmodernenErzählweisen ist aber nicht unbedingt singulär oder revolutionär. So hat sich zum Beispiel der äußerst erfolgreiche Autor
John Updike
(1932–2009) mit seinen Dekadenstudien der 1960 er, 70er und 80er Jahre im
Rabbit
-Zyklus (1960–2001) während der gesamten sogenannten Ära der Postmoderne immer einer realistischen Erzähltradition verpflichtet gefühlt.
IX. Ethnische Stimmen
Großteils parallel zum Postmodernismus, jedoch relativ unbeeinflusst von dessen oftmals spielerischen Erzähltechniken, verläuft eine andere Traditionslinie amerikanischer Literatur in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Erst im späten 20. Jahrhundert lenkt die Literaturwissenschaft allgemein und besonders in den USA ihr Interesse auf die Stimmen ethnischer Minderheiten. Die Texte von Afro-AmerikanerInnen, Latinas oder Latinos, asiatisch stämmigen oder indianischen Autorinnen und Autoren werden folglich als relativ eigenständige Traditionen geführt. Diese «Ghettoisierung» von Literatur ist keineswegs unproblematisch: Sie lässt zwar einerseits eigenständige ethnische Entwicklungslinien erkennen, andererseits wird aber dadurch auch die Bedeutung eines Textes oder Autors für die gesamte literarische Produktion unter Umständen in Frage gestellt. Es würde z.B. zu kurz greifen, Ralph Ellisons Beitrag zur Entwicklung des amerikanischen Romans als bloßen Entwicklungsschritt des afro-amerikanischen Romans abzutun. Sein
Invisible Man
(1953) markiert einerseits den Übergang des amerikanischen Romans vom Spätmodernismus zum Postmodernismus, andererseits stellt er die Weichen für den afro-amerikanischen Roman in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Trotz dieser Problematik macht es dennoch Sinn, im Folgenden diese ethnischen Linien kurz nachzuzeichnen und damit Elemente der amerikanischen Literatur insgesamt sichtbar zu machen.
Waren es Mitte des Jahrhunderts vor allem Initiationsgeschichten über afro-amerikanische Männer wie
Richard Wright
s (1908–1960)
Native Son
(1940) und
James Baldwin
s (1924–1987)
Go Tell It on the Mountain
(1953), so verlagerte sich später das Interesse zunehmend auf weibliche Figuren und deren Anliegen. Bahnbrechenden Erfolg erzielte
Alice Walker
s (geb. 1944) Briefroman
The Color Purple
(1982) über ein 14-jähriges missbrauchtes schwarzes Mädchen in den Südstaaten der 1930er Jahre. Auch die Romane der Nobelpreisträgerin
Toni Morrison
(geb. 1931) haben zur Breitenwirkung des afro-amerikanischen Romans von Frauen beigetragen. Morrisons
Beloved
(1987) erzählt das Familiendrama der schwarzen Sklavin Sethe, die auf ihrer Flucht in den Norden ihre kleine
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