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Little Brother

Little Brother

Titel: Little Brother Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cory Doctorow
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Füßen bleiben - das war alles, worum es jetzt noch ging.
    Wir erreichten die offene Bahnhofshalle mit den Drehkreuzen. Dort war's kaum besser - in dem umschlossenen Raum hallten die Stimmen um ums herum wie Echos und machten einen Lärm, dass mein Schädel brummte; und der Geruch und das Gefühl all dieser Körper erzeugten in mir eine Klaustrophobie, von der ich nie wusste, dass ich anfällig dafür war.
    Immer noch drängten Leute die Treppen runter, immer mehr quetschten sich an den Drehkreuzen vorbei und über die Rolltreppen runter zu den Gleisen, aber mir war klar, dass dort kein Happy-End zu erwarten war.
    "Riskieren wirs oben?", fragte ich Darryl.
    "Verdammt noch mal ja", sagte er. "Das hier ist böse." Ich blickte in Richtung Vanessa - keine Chance, dass sie mich hören würde. Irgendwie kramte ich mein Handy raus und simste sie an.
    > Wir verschwinden hier raus
    Ich sah, wie sie den Vibrationsalarm ihres Handys spürte, draufblickte, dann zu mir schaute und nachdrücklich nickte. Darryl hatte inzwischen Jolu gebrieft.
    "Wie wollen wirs machen?", brüllte Darryl mir ins Ohr.
    "Rückwärtsgang, irgendwie", schrie ich zurück und zeigte auf die erbarmungslose Menschenflut.
    "Unmöglich!", sagte er.
    "Je länger wir warten, desto unmöglicher wird's!"
    Er zuckte die Schultern. Van drängte sich zu mir durch und schnappte mein Handgelenk. Ich griff Darryl, und der nahm Jolu bei der anderen Hand, und dann drängten wir nach draußen.
    Leicht wars nicht. Am Anfang schafften wir vielleicht zehn Zentimeter pro Minute, dann auf der Treppe wurden wir noch langsamer. Zudem waren die Leute, denen wir begegneten, nicht eben glücklich darüber, dass wir sie aus dem Weg zu drängen versuchten. Einige fluchten, und ein Typ hätte mich vermutlich verprügelt, wenn er bloß seine Arme hätte freimachen können. Wir mussten über drei weitere niedergetrampelte Leute klettern, aber ich hatte keine Chance, ihnen zu helfen. Zu dem Zeitpunkt dachte ich wohl schon gar nicht mehr dran, irgendjemandem zu helfen. Das Einzige, woran ich dachte, war das nächste bisschen nutzbarer Freiraum vor mir, Darryls schmerzhafter Griff um mein Handgelenk und mein verzweifeltes Klammern an Van hinter mir.
    Nach einer halben Ewigkeit ploppten wir plötzlich ins Freie wie Champagnerkorken und blinzelten ins rauchiggraue Licht. Die Luftalarm-Sirenen plärrten immer noch, und das Jaulen der Krankenwagen-Sirenen, die Market Street hinunterrasten, war sogar noch lauter. Fast niemand war mehr auf der Straße, nur noch die Menschen, die vergeblich versuchten, nach unten zu gelangen. Viele von ihnen weinten. Ich erblickte ein paar leere Parkbänke, auf denen sich sonst schmuddelige Penner breit machten, und deutete darauf.
    Wir liefen drauf zu, gebückt und mit eingezogenen Schultern durch Sirenenlärm und Qualm. Grade als wir bei den Bänken ankamen, stürzte Darryl nach vorn.
    Alle schrien wir auf, und Vanessa griff nach ihm und drehte ihn um. Sein Hemd war an der Seite rot gefleckt, und der Fleck breitete sich aus. Sie zog das Hemd hoch, wodurch ein langer, tiefer Schnitt in seinem stämmigen Leib sichtbar wurde.
    "Scheiße, irgendjemand in der Menge hat ihn abgestochen", sagte Jolu, die Hände zu Fäusten geballt. "Himmel, ist das fies."
    Darryl stöhnte und blickte erst zu uns, dann an seinem Körper runter, dann stöhnte er noch mal, und sein Kopf kippte wieder nach hinten.
    Vanessa zog ihre Jeansjacke aus und dann auch noch den Kapuzensweater, den sie drunter trug. Sie rollte ihn zusammen und presste ihn Darryl in die Seite.
    "Nimm seinen Kopf", sagte sie zu mir, "halt ihn hoch." Und zu Jolu: "Nimm seine Füße hoch; mach ne Rolle aus deinem Mantel oder so."
    Jolu reagierte sofort. Vanessas Mutter ist Krankenschwester, und jeden Sommer im Camp hatte sie nen Erste-Hilfe-Kurs gehabt. Sie machte sich einen Spaß draus, drauf zu achten, wie Leute in Filmen die Erste Hilfe falsch machen. Mann, war ich froh, sie dabei zu haben.
    Wir saßen eine ganze Weile so da und pressten die Kapuzenjacke gegen Darryls Seite. Er sagte dauernd, es gehe ihm gut und wir sollten ihn aufstehen lassen, und Van sagte dauernd, er solle den Mund halten und liegen bleiben, oder es setze was.
    "Sollen wir nicht mal 911 anrufen?", fragte Jolu.
    Ich kam mir wie der letzte Depp vor. Schnell holte ich mein Handy raus und tippte 911. Was ich zu hören bekam, war noch nicht mal ein Besetztzeichen - es klang eher wie das schmerzvolle Wimmern des Telefonnetzes. Solche Sachen hört man

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