Little Brother
war uns nicht erlaubt, uns frei darin zu bewegen. Die Nationalgardisten, die sich um uns kümmerten, waren einigermaßen freundlich, aber sie waren nichtsdestotrotz groß, gepanzert und bewaffnet. Ich dachte ständig, ich würde Darryl in der Menge sehen, aber es war immer jemand anderer mit demselben geprügelten, gebeugten Ausdruck, den ich an ihm in seiner Zelle gesehen hatte. Er war nicht der einzige Gebrochene hier.
Im Gerichtsgebäude führten sie uns in unseren Fesselgrüppchen in Befragungsräume. Eine ACLU-Anwältin nahm unsere Daten auf, stellte uns einige Fragen - als ich an der Reihe war, lächelte sie und begrüßte mich mit Namen - und führte uns dann in den Gerichtssaal und vor den Richter. Er trug eine richtige Robe und schien gut gelaunt zu sein.
Es schien vereinbart zu sein, dass jeder, für den ein Familienmitglied Kaution hinterlegen konnte, freigelassen wurde und alle anderen ins Gefängnis kamen. Die ACLU-Anwältin redete auf den Richter ein und bat um einige Stunden Aufschub, während derer die Angehörigen der Gefangenen aufgetrieben und zum Gerichtsgebäude gebracht wurden. Der Richter war ziemlich wohlwollend, aber als mir klar wurde, dass einige von den Leuten hier schon seit dem Tag des Attentats inhaftiert waren, ohne jedes Verfahren, Verhören, Isolation und Folter ausgeliefert, während ihre Familien sie tot glaubten, da hätte ich nur noch die Ketten zerreißen und sie alle einfach freilassen mögen.
Als ich dem Richter vorgeführt wurde, sah er auf mich herunter und nahm seine Brille ab. Er sah müde aus. Die ACLU-Anwältin sah müde aus. Die Gerichtsdiener sahen müde aus. Hinter mir konnte ich ein plötzliches Aufbranden von Gesprächen hören, als ein Gerichtsdiener meinen Namen verlas. Der Richter pochte einmal mit seinem Hammer, ohne den Blick von mir abzuwenden. Er rieb sich über die Augen.
"Mr. Yallow", sagte er, "die Anklage hat Sie als fluchtverdächtig eingestuft. Ich denke, das ist nicht von der Hand zu weisen. Sie haben mehr, sagen wir mal, Geschichte als die anderen Leute hier. Ich bin versucht, Sie bis zum Verfahren festzusetzen, unabhängig davon, wie viel Kaution Ihre Eltern zu hinterlegen bereit sind."
Meine Anwältin hob an zu sprechen, doch der Richter bedeutete ihr mit einem Blick zu schweigen. Er rieb sich wieder die Augen.
"Haben Sie etwas dazu zu sagen?"
"Ich hatte Gelegenheit zu fliehen", sagte ich. "Letzte Woche. Jemand hatte mir angeboten, mich fortzubringen, weg aus der Stadt, und mir eine neue Identität aufzubauen. Stattdessen habe ich dieser Frau das Telefon gestohlen, bin aus unserem Lastwagen abgehauen und fortgerannt. Ich habe ihr Telefon - auf dem sich Beweise über meinen Freund Darryl Glover befanden - einer Journalistin übergeben und mich dann hier, in der Stadt, versteckt."
"Sie haben ein Telefon gestohlen?"
"Ich war zu der Erkenntnis gelangt, dass ich nicht weglaufen durfte. Dass ich mich der Justiz zu stellen hatte - dass meine Freiheit nichts wert war, solange ich gesucht wurde oder solange meine Stadt noch dem DHS unterworfen war. Solange meine Freunde immer noch eingesperrt waren. Und dass meine Freiheit nicht so wichtig war wie die Freiheit des Landes."
"Aber Sie haben ein Telefon gestohlen."
Ich nickte. "Ja, das habe ich. Ich beabsichtige es zurückzugeben, sobald ich die fragliche junge Frau finde."
"Nun, ich danke Ihnen für diese Rede, Mr. Yallow. Sie sind ein sehr eloquenter junger Mann." Er fixierte den Staatsanwalt. "Mancher würde sagen, auch ein sehr mutiger Mann. Heute früh lief in den Nachrichten ein gewisses Video, das die Annahme rechtfertigt, dass Sie gute Gründe hatten, den Strafverfolgungsbehörden aus dem Weg zu gehen. Vor diesem Hintergrund und eingedenk Ihrer kleinen Rede hier werde ich Kaution gewähren, aber ich werde veranlassen, dass die Anklage gegen Sie um den Punkt minderschweren Diebstahls im Hinblick auf das Telefon ergänzt wird. Diesbezüglich setze ich zusätzlich 50.000 Dollar Kaution fest."
Er pochte wieder mit dem Hammer, und meine Anwältin drückte mir die Hand.
Er schaute wieder herunter zu mir und rückte seine Brille zurecht. Er hatte Schuppen auf den Schultern seiner Robe. Als die Brille sein drahtiges, lockiges Haar berührte, rieselten noch einige mehr herab.
"Sie können jetzt gehen, junger Mann. Halten Sie sich von Ärger fern."
Ich wandte mich zum Gehen, als mich jemand tackelte. Es war Dad. Er riss mich wortwörtlich von den Füßen und umarmte mich so stürmisch, dass meine
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