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Little Brother

Little Brother

Titel: Little Brother Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cory Doctorow
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durch die reguläre Strafgerichtsbarkeit geschleust werden. Und das könnte, also, es könnte Monate dauern."
    "Ich soll noch monatelang hier bleiben?"
    Sie fasste mich bei den Händen. "Nein, ich denke, wir werden das anfechten und dich ziemlich schnell auf Kaution rausbekommen. Aber ,ziemlich schnell' ist relativ. Ich würde nicht damit rechnen, dass heute noch was passiert. Und es wird nicht mehr so sein wie bei diesen Leuten. Es wird human sein. Es wird richtiges Essen geben. Keine Befragungen. Besuche von deiner Familie.
    Nur weil das DHS raus ist, kannst du noch lange nicht einfach so von hier verschwinden. Was gerade passiert ist, das ist, dass wir die Bizarro-Version ihres Justizsystems gekippt haben und wieder das alte System einführen. Das System mit Richtern, öffentlichen Verhandlungen und Anwälten.
    Wir könnten also versuchen, dich in eine Jugendstrafanstalt auf dem Festland zu verlegen, aber Marcus, diese Orte können wirklich heftig sein. Sehr, sehr hart. Dies hier könnte für dich der beste Platz sein, bis wir dich auf Kaution freibekommen."
    Auf Kaution freibekommen. Na klar. Ich war ein Krimineller - ich war noch nicht angeklagt, aber das mussten wohl Dutzende von Anklagepunkten sein, die sie gegen mich auffahren konnten. Es war ja praktisch illegal, auch nur unreine Gedanken über die Regierung zu denken.
    Sie drückte wieder meine Hände. "Es ist Mist, aber so muss es nun mal laufen. Hauptsache, es ist vorbei. Der Gouverneur hat das DHS rausgeworfen und alle Checkpoints abgebaut. Der Staatsanwalt hat Haftbefehle gegen alle Vollstreckungsbeamten erlassen, die in ,Stressbefragungen' und Geheimgefängnisse involviert waren. Die werden alle in den Knast wandern, und zwar wegen allem, was du getan hast, Marcus."
    Ich war wie betäubt. Ich hörte die Worte, aber ich begriff ihren Sinn nicht. Irgendwie war es vorbei, aber auch wieder nicht.
    "Hör mal", sagte sie. "Wir haben vielleicht noch eine oder zwei Stunden, bevor sich das hier alles wieder beruhigt und sie kommen, um dich wieder einzusperren. Was willst du machen? Am Strand spazierengehen? Etwas essen? Diese Leute hier hatten ein unglaubliches Stabskasino - das haben wir auf dem Weg hier rein geplündert. Essen vom Allerfeinsten."
    Endlich eine Frage, die ich beantworten konnte. "Ich will Ange finden. Und ich will Darryl finden."
    [x]
    Ich versuchte ihre Zellennummern in einem Computer nachzuschauen, aber der verlangte ein Passwort, und so blieb uns nichts übrig, als die Flure entlangzuwandern und ihre Namen zu rufen. Von hinter den Zellentüren riefen Gefangene uns etwas zurück, weinten oder bettelten uns an, sie gehen zu lassen. Sie begriffen noch nicht, was gerade eben passiert war, sie konnten nicht sehen, wie ihre früheren Bewacher in Plastikhandschellen auf den Docks zusammengetrieben und von kalifornischen SWAT-Teams ( 7 ) weggebracht wurden.
    "Ange!", brüllte ich über den Lärm hinweg, "Ange Carvelli! Darryl Glover! Ich bins, Marcus!" Wir hatten den Zellentrakt auf ganzer Länge abgewandert, und sie hatten nicht geantwortet. Mir war nach Heulen zumute. Sie waren also außer Landes gebracht worden - nach Syrien oder noch schlimmer. Ich würde sie nie wiedersehen.
    Ich hockte mich hin, lehnte mich an die Flurwand und verbarg mein Gesicht in den Händen. Ich sah das Gesicht von Frau Strenger Haarschnitt, sah ihr Grinsen, als sie nach meinem Login fragte. Sie hatte das getan. Sie würde dafür ins Gefängnis gehen, aber das reichte mir nicht. Ich dachte, wenn ich sie wiedersähe, würde ich sie töten. Sie hätte es verdient.
    "Komm schon", sagte Barbara, "komm weiter, Marcus. Gib nicht auf. Hier gehts noch weiter, komm schon."
    Sie hatte Recht. Alle Türen, an denen wir in dem Zellentrakt vorbeigekommen waren, waren alte, verrostete Dinger aus der Entstehungszeit dieser Basis. Aber ganz am Ende des Flurs war eine neue Hochsicherheitstür angelehnt, dick wie ein Wörterbuch. Wir zogen sie auf und wagten uns in den dunklen Flur dahinter.
    Hier gab es noch vier Zellentüren ohne Strichcodes. Auf jeder war eine kleine Zifferntastatur montiert.
    "Darryl?", sagte ich. "Ange?"
    "Marcus?"
    Es war Ange, die mir aus der hintersten Tür zurief. Ange, meine Ange, mein Engel.
    "Ange!", rief ich. "Ich bins, ich bins!"
    "Oh Gott, Marcus", presste sie noch hervor, der Rest ging in ihrem Schluchzen unter.
    Ich hämmerte an die anderen Türen. "Darryl! Darryl, bist du hier?"
    "Ich bin hier." Die Stimme war sehr dünn und sehr heiser. "Ich bin hier. Es

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