Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
das freie Betriebssystem, das ganz aus kostenlosem, offenem Code bestand, den jeder verbessern und weiterverbreiten durfte. Es gab unzählige Varianten von Linux, und eine davon, ParanoidLinux, war das Desktop-Äquivalent zu ParanoidAndroid: ein Betriebssystem, das standardmäßig davon ausgeht, dass man ausspioniert wird, und das so gut es geht zu verhindern versucht.
Jolu und ich hatten ParanoidLinux um die Fähigkeit bereichert, sich in fremde WLAN s einzuklinken und das den anderen mitzuteilen. Sobald sich also eine Xbox in Reichweite eines geknackten WLAN befand, konnten auch alle anderen Xboxen in Reichweite darauf zugreifen. Mit der in ParanoidLinux integrierten Tor-Funktionalität schufen wir uns unsere eigenen geheimen Server, Chats und Spiele, wobei uns Trudy Doos alter ISP unterstützte.
Als der Heimatschutz mich abgriff, zeigte das Xnet bereits erste Alterserscheinungen. Das ParanoidLinux-Projekt wurde kontinuierlich gepatcht, wenn neue Sicherheitslücken entdeckt wurden, und es machte eine Menge Arbeit, die Xnet-Version up to date zu halten. Schließlich überließen wir das Projekt ein paar Freiwilligen, die es noch einige Monate weiterverfolgten, bis es wieder in ParanoidLinux aufging. Mittlerweile bestand das aus einer Boot Disk, die auch Tor, eine sichere Version von Firefox und einen Chat-Client namens Pidgin installierte, dazu noch einige weitere Sicherheits-Tools. Damit brauchte man im Prinzip bloß noch seinen Computer neu zu starten, und schon war man rundum abgesichert – vorausgesetzt, man vergaß seine vielen Passwörter nicht und wusste, wie Darknet Sites und noch ein paar weitere Dinge funktionierten, von denen die meisten Leute keine Ahnung hatten – damals jedenfalls noch nicht.
So gesehen war das Darknet also bloß die jüngste Version unseres Xnet – genau wie Menschen die jüngste Version von Affen waren. Klar konnte ich es bedienen – aber konnte ich es überhaupt noch erklären?
Ich würde es wohl gleich herausfinden.
»Das Darknet läuft über Tor.
Tor ist The Onion Router.
Das ist ein Tool, das euren Datenverkehr quer durchs ganze Netz leitet.
Damit wird es schwerer, euch zu verfolgen und zu zensieren.
Eine Darknet-Seite ist eine normale Website.
Bloß dass euer Rechner nie die Adresse kennt.
Und sie nicht die Adresse eurer Rechner.
Es gibt eine Darknet-Seite.
Auf der stehen über 800000 geleakte Dokumente.
Niemand weiß, wer sie dort hingestellt hat.
Niemand weiß, was alles drinsteht.
Aber ein paar Tausend wurden schon durchgesehen.
Und die machen einem höllische Angst.«
Ich holte tief Luft.
»Wahrscheinlich habt ihr viele Kommentare gelesen.
Dass die Dokumente allesamt Mist wären.
Bloß ein Fake.
Nicht der Rede wert.
Aber wenn ihr mal ins Darknet schaut.
Dann findet ihr dort auch Infos über etwas namens ›Hearts andMinds‹. (Ich schaffte es, nicht ›Hierz‹ zu sagen.)
Das ist eine Software von Zyz.
Mit der man Foren zuspammen kann.
Mit Fake-Accounts.
Und auf einmal gibt’s da tierisch viele Leute.
Von denen man noch nie was gehört hat.
Die sämtliche Foren zuspammen.
Es gibt im Darknet Dokumente.
Die beweisen die üblen Machenschaften von Zyz.
Doch diese Fake-Leute behaupten:
Alles frei erfunden, alles Mist.
Ich finde das ziemlich verdächtig.«
Allgemeines Fingerwackeln. Das gab mir ein etwas besseres Gefühl bei dem Gedanken, dass ich drauf und dran war, mich als derjenige zu outen, der die Dokumente ins Netz gestellt hatte.
»Am einfachsten kommt ihr ins Darknet.
Wenn ihr euch ein kostenloses Browser-Plugin namens Torbutton installiert.
Dann geht ihr auf est5g5fuenqhqinx.onion.
Das ist eine lange Adresse, ich weiß.
Ich sage sie noch mal.«
Jemand in der Menge – einer der Anonymous-Typen, die Stimme von der Maske gedämpft – rief mir zu: »Ich hab ein paar Flyer, die alles erklären, mitsamt der Adresse!«
Ich winkte ihm, und er winkte fröhlich zurück. Mit dem breiten, sardonischen Grinsen der Maske gab er ein Bild schieren Übermuts ab.
»Der da hat die Adresse auf Flyern.«
Als ich auf ihn deutete, verbeugte er sich elegant.
»Ich hoffe, ihr schaut euch die Darknet-Docs einfach mal an.
Und bildet euch euer eigenes Urteil.
Okay, danke fürs Zuhören.«
Ich sprang vom Sockel und konnte dabei meinen Herzschlag hören, whusch-whusch. Die Menge klatschte höflich, was schon mehr war, als ich eigentlich erwartet hatte. Ich hatte sie ja nicht angefeuert oder ihnen den Einsatzbefehl für die Schlacht gegen die
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