Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
mir vorsichtig an, doch er wimmerte nur wie ein verletztes Tier.
»Ich glaube, der Mann hier braucht einen Arzt«, sagte ich und verrenkte mich auf meinem Sitz, um mit den Händen auf dem Rücken eine halbwegs bequeme Position zu finden.
»Den wird er schon kriegen«, meinte der Bulle. »Sobald wir ihn erkennungsdienstlich behandelt haben.«
Ringsum entspannen sich geflüsterte Unterhaltungen. Die Stimmen klangen so angespannt und verängstigt wie die von Teenagern in einem Slasher-Film, wenn sie sich vor dem Killer verstecken. Ich starrte aus dem Fenster und hielt nach Carrie Johnstone oder Knotenkopf Ausschau – oder auch nach Ange und Lemmy. Alle fünf Minuten fiel mir ein, dass ich diesmal blöderweise nicht daran gedacht hatte, mir die Nummer eines Anwalts auf den Arm zu schreiben. Wideralle Wahrscheinlichkeit nickte ich für eine Weile ein, den Kopf auf den Sitz vor mir gestützt. Vermutlich hatte mein Körper einfach so viel Adrenalin verbraucht, dass nichts mehr übrig war, um mich wachzuhalten. Und zur Krönung bekam ich später wegen des Koffeinentzugs übelste Kopfschmerzen. Ich hätte locker ein Pfund Espressobohnen verschlingen und noch Nachschlag verlangen können.
Ich kam wieder zu mir, als jemand auf den Sitz vor mir gestoßen wurde. Erschöpft hob ich den Kopf und stellte fest, dass es ein Mädchen meines Alters war. Sie sah so aus, als ob sie aus dem Nahen Osten käme, trug Designerkleidung und langes Haar, das sich aus ihrem Pferdeschwanz fast gelöst hatte. Ihr Gesicht hatte einen Ausdruck grimmiger Entschlossenheit.
»Hey«, sagte ich zu dem Bullen. »Könnten wir demnächst vielleicht mal aufs Klo?«
»Wenn wir mit euch fertig sind.«
»Und wann wird das sein?«
»Nachher.«
»Ganz im Ernst, wir sitzen jetzt schon ewig hier rum. Könnten Sie mir nicht wenigstens die Fesseln abnehmen?«
»Nein.« Der Bulle machte kehrt und ging davon. Das Bizarre daran war, wie unpersönlich alles ablief. Im selben Tonfall hätte er auch einem Schnorrer sagen können, dass er kein Kleingeld für ihn übrig habe.
»Wie lange bist du schon hier?«, fragte mich das Mädchen.
»Keine Ahnung, ich bin eingedöst. Aber schon eine ganze Weile. Hast du eine Ahnung, wie viel Uhr es ist?«
Sie zuckte die Achseln. »Müsste so nach elf sein.«
»Was ist mittlerweile da draußen los?«
»Oh, sie verhören jetzt jeden. Wenn ihnen deine Antworten nicht passen, kommst du hinter den Zaun.«
»Den Zaun?«
»Hast du den nicht gesehen? Die haben eine große Fläche komplett abgesperrt, fast einen ganzen Straßenblock. Wenn sie dich nicht mögen, kommst du dort hin. Dann unterhalten sie sich etwas gründlicher mit dir. Wenn sie dich danach noch immer nicht mögen, stecken sie dich hier rein. Du warst wohl gar nicht erst hinterm Zaun, was?«
Sollte ich ihr erklären, dass ich von einer psychotischen, kriminellen Söldnerin direkt in die Bullen hineingehetzt worden war? »Nee, die haben mich einfach geschnappt und hier reingesetzt«, erwiderte ich.
Sie schüttelte den Kopf. »Bei mir war’s anders. Erst haben die mich geschnappt, dann meinen Ausweis kontrolliert, mich eingepfercht, wieder kontrolliert und anschließend hierherverfrachtet. Arschlöcher.«
»Und wieso gerade dich?«
Sie zuckte erneut die Achseln. »Keine Ahnung. Reiner Rassismus? Wenn man heutzutage einen ägyptischen Nachnamen hat, kann man doch gleich Jasmina Bin Terrorist Al Djihad heißen. Vielleicht liegt’s auch daran, dass ich zum ECWR gehöre.«
»Was ist das?«
»Das Egyptian Center for Women’s Rights. Setzt sich für Solidarität mit Frauen in der arabischen Welt ein. Die Frauen haben sich bei den Revolutionen auf die Straße getraut, geholfen, die Diktatoren abzusetzen, und dafür ihr Blut vergossen. Aber die neuen ›revolutionären‹ Regierungen haben diese Frauen wieder nach Hause geschickt und ihnen was von ›Bescheidenheit‹ und dem ›angemessenen Platz für Frauen‹ erzählt. Also reden wir hier darüber, veranstalten Diskussionsrunden, schreiben Bücher darüber, was der Koran wirklich über Frauen zu sagen hat. Wir nennen die Scheiße, die manche Leute von sich geben, beim Namen.« Achselzucken. »Vielleicht liegt’s also daran. Ich weiß es nicht. Ich hab versucht, meine Familie anzurufen, als ich hinterm Zaun saß, aber mein Handy geht nicht mehr. So wenig wie alle anderen.«
Hm. »Hättest du denn einen Anwalt, den du anrufen könntest?«
»Nein. Aber meine Mutter wüsste bestimmt jemanden – das heißt, wenn sie
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