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Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cory Doctorow
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dass Carrie Johnstone einfach so davonkommen soll.«
    Sie schaute mich wieder so an, als wäre ich schwer von Begriff. Ich hasste diesen Blick. »Leute wie sie kommen immer davon, bis sie irgendwer mal erschießt oder sie sich zurückziehen und ihren Lebensabend in einer weit entfernten Diktatur verbringen, wo niemand sie belangen kann. Sie wird nie vor Gericht landen. Schmink dir das ab. Niemand wird sie je verhaften. Weil sich das niemand leisten kann. Du musst dich mal von deinen romantischen Vorstellungen lösen und akzeptieren, dass manche Dinge einfach so sind, wie sie sind.«
    »Ich will aber nicht. Damit tut man doch so, als ob die Verantwortung nicht bei den Menschen läge und alles einfach der Lauf der Dinge wäre. Ist die perfekte Ausrede: Das System ist schuld. Die Firma ist schuld. Die Regierung ist schuld. Und was ist mit dem, der den Abzug gedrückt hat?«
    »Ein schönes Märchen. Sag mal, hast du vielleicht ’nen Saft oder irgendwas mit Zucker drin? Ich bin echt k.o. Vielleicht wär ein Kaffee gut.«
    Ich machte ihr einen sagenhaften Kaffee. Ich mag ja kein Super-Ninja sein, aber das kann ich immerhin. Sie trank ihn mit fast angemessener Ehrerbietung, dann wollte sie noch einen, trank auch den und sagte schließlich: »Okay, nicht schlecht.« Doch wie sie es sagte, bewies mir, dass das in ihrer Sprache so viel wie ACH DU SCHEISSE IST DER KAFFEE GUT hieß.
    Dann tippte und tippte sie. Danach zog sie ein Gesicht, als stiege ihr etwas Ekliges in die Nase, und ließ ihre Finger über die Tasten fliegen, zehn zugekokste Akrobaten auf neunundachtzig kleinen Trampolinen. Jetzt fletschte sie beim Tippen die Zähne. Ich versuchte, ihr über die Schulter zu sehen – mein polarisierter Schirm machte es schwer, etwas zu erkennen, wenn man nicht direkt davor saß – , doch sie stieß mich beiseite, ohne die Tipperei auch nur einen Augenblick zu unterbrechen.
    »Okay, das war’s«, verkündete sie bald darauf und zog in zwei fließenden Bewegungen erst den Stecker, dann den Akku raus, womit sie effektiv die virtuelle Maschine, in der sie gearbeitet hatte, samt allen relevanten Passwörtern killte. Ich machte mir nicht die Mühe zu protestieren. Eigentlich war ich nicht mal besonders sauer auf sie.
    »Das war’s?«
    »Lösch einfach alle Kopien, die du von den Files noch hast, angefangen bei der Darknet-Site, zu der du ihnen den Link geschickt hast, dann kannst du Zyz und Johnstone getrost vergessen. Ich hab mir vorsichtshalber noch eine komplette Kopie der Dokumente zugemailt, von daher passt das schon. Sie haben noch gefragt, ob du dein altes Handy zurückwillst.«
    »Wie bitte?«
    »Sie haben wohl die Wohnung irgendeiner Ägypterin auf den Kopf gestellt, nachdem sie über deinen Netzbetreiber die Position des Handys rausgekriegt haben.«
    »Oh Gott. Wurde jemand verletzt?«
    »Davon haben sie mal nichts gesagt. Sie können aber auch durchaus subtil sein, wenn sie das wollen. Scheint dir in jedem Fall eine Atempause verschafft zu haben. Willst du’s zurück? Natürlich ist jetzt wahrscheinlich jeder der Menschheit bekannte Trojaner und Virus drauf.«
    »Vergessen wir’s lieber.«
    »Kluger Junge.«
    »Dann sollte ich jetzt wohl danke sagen.« Irgendwie kam es mir so vor, als wäre ich gerade Zeuge von etwas ungeheuer Wichtigem wie auch ungeheuer Banalem geworden. Wieder einmal hatte jemand anderes meine Probleme für mich gelöst. Viele Leute hielten M1k3y für eine Art Superhelden; dabei spielte ich in Wahrheit bloß eine Nebenrolle in einer Geschichte, auf deren Handlung ich keinen Einfluss hatte.
    Masha kämpfte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht auf die Füße. »Du hast dich ziemlich gut geschlagen, Marcus. Ich hab einen Haufen Scheiß auf dir abgeladen, aber du hast es gepackt. Ich hab mich auf dich verlassen und dich in Schwierigkeiten gebracht. Von daher bin ich froh, dass wir jetzt wieder etwas Ordnung geschaffen haben. Und ich hab dabei nicht nur deinen, sondern auch meinen Arsch gerettet. Ich denke, fürs Erste sind wir in Sicherheit.« Als sie kurz ins Schwanken geriet, stützte sie sich auf mich und packte dabei ganz schön fest zu. Aber ich merkte es kaum, weil sie mich zugleich mit diesen großen, tränenfeuchten braunen Augen ansah.
    Es war einer dieser Momente, wie sie zwischen Jungs und Mädels manchmal vorkommen: Die Luft ist irgendwie aufgeladen, man blickt einander in die Augen, und alle Nervenenden kribbeln, als befände man sich im freien Fall. Ich ließ zu, dass dieser Augenblick

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