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Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cory Doctorow
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verdeckte Würfe hinter seinem Spielleiterschirm machte. Davon abgesehen war es da auch schon fast eins, und draußen fand eine Party statt. Also legten wir Johns herrliche Seidenkleider ab und zwängten uns wieder in unsere steifen, staubverpappten Wüstensachen. Dann knipsten wir unsere Leuchtkabel an, zogen unsere Schutzbrillen zurecht, bedankten uns noch tausendmal und schüttelten Hände. Gerade, als wir loswollten, schrieb mir Mitch mit dünnem Edding noch eine E-M ail-Adresse auf den Arm (ich hatte da schon jede Menge anderer Adressen gesammelt).«
    »Ange meinte, du suchst einen Job? Das hier ist die Wahlkampfleiterin von Joseph Noss. Soweit ich weiß, ist sie auf der Suche nach einem Webmaster. Grüß sie von mir.«
    Das verschlug mir die Sprache. Nachdem ich monatelang Klinken geputzt und es per Post, per Mail, per Telefon probiert hatte, bot sich hier die Gelegenheit zu einem ehrlichen Job – mit den Empfehlungen einer echten Legende! Ich stammelte meinen Dank, und sobald wir draußen waren, küsste ich Ange und sprang vor Freude nur so auf und ab. Dann eilten wir Richtung Party, wobei wir fast einen Typen auf einem schmutzigen, mit Zebrafell-Imitat verzierten Segway umrannten. Er nahm es uns nicht krumm.
    Wir trafen Masha und Zeb erst am letzten Abend zur Verbrennung des Tempels wieder. Das war Sonntagnacht.
    Den Mann, nach dem das Festival benannt war, hatten wir schon am Samstag verbrannt, und es war viel zu arg gewesen: Hunderte Feuertänzer und Zehntausende von Menschen außenrum, die sich die Seele aus dem Leib schrien, als die ersten großen Feuerbälle und Flammenwolken aus dem Sockel aufstiegen, dann das lautstarke Gebrüll, als die Figur in sich zusammenstürzte, die Ranger sich zurückzogen und wir alle Richtung Feuer stürmten, immer darauf bedacht, den anderen, wenn nötig, behilflich zu sein. Es war so ziemlich die höflichste Massenpanik, die man sich vorstellen kann. Doch plötzlich standen wieder die Bilder des Gedränges in der BART -Station vor meinem Auge, an jenem Tag, an dem die Bay Bridge gesprengt worden war. Das schreckliche Gefühl, von den Menschenmassen über die Gestürzten geschoben zu werden. Der Schweiß, der Gestank und der Lärm. Darryl war in dieser Menge niedergestochen worden, und für uns alle hatte unser Höllentrip begonnen.
    Diese Menge hier war nicht wie damals, aber mein Bauchgefühl sah das anders. Meine Eingeweide schlugen Salti, meine Beine verwandelten sich zu Brei. Langsam sank ich zu Boden, Tränen im Gesicht. Ich kam mir vor, als schwebte ich über dem eigenen Körper. Dann war auf einmal Ange bei mir, ganz nahe, und redete beruhigend auf mich ein. Auch andere Leute blieben stehen, um zu helfen. Eine große Frau stellte sich vor uns, um die Menge um uns herumzulenken, während ein schmächtiger älterer Mann mir kräftig unter die Achseln griff, um mich gemeinsam mit Ange wieder auf die Füße zu ziehen.
    Ich kehrte ins Hier und Jetzt zurück, spürte die Schwäche aus meinen Beinen weichen und wischte mir die Tränen aus den Augen. »Tut mir leid«, sagte ich. Ich schämte mich so sehr, dass ich mich am liebsten im Boden verkrochen und die Wüste über den Kopf gezogen hätte. Aber keiner der Helfer schien überrascht zu sein. Die Frau zeigte mir nur den Weg zu den nächsten Sanitätern, und der Mann drückte mich kurz und wünschte mir gute Besserung.
    Ange sagte erst gar nichts, sondern hielt mich nur fest. Sie wusste, dass es mir in dichtem Gedränge manchmal so ging und ich nicht gern darüber redete. Also gingen wir kurz vor, zum Feuer, dann zogen wir uns aus der Menge zurück und nahmen Zuflucht in den Partys, dem Tanz, dem Vergessen. Ich sagte mir, dass ich verliebt war, dass ich es endlich zum Burning Man geschafft hatte und daheim in San Francisco vielleicht schon ein Job auf mich wartete. Jedes Mal, wenn ich merkte, dass die bösen Geister zurückkehrten, rief ich mir das in Erinnerung.
    Die Verbrennung des Tempels war dagegen ganz anders. Wir waren schon ziemlich früh vor Ort und setzten uns ganz vorne hin. Dann schauten wir zu, wie die untergehende Sonne die Wände des Tempels erst orange, dann rot, dann violett färbte. Kurz darauf gingen die Scheinwerfer an, und der Tempel war wieder strahlend weiß. Ich hörte das Rascheln all der aufgezeichneten Erinnerungen im Wind, der durch die Fenster fuhr.
    Wir saßen da gemeinsam mit Tausenden und Abertausenden von Menschen, aber kaum jemand sagte ein Wort. Wenn ich die Augen schloss, war mir fast

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